Mit dem rasanten Aufstieg von Künstlicher Intelligenz verändert sich auch die Art, wie Unternehmen Software entwickeln, testen und absichern. Zwei Begriffe rücken dabei zunehmend in den Fokus: DevSecOps und MLSecOps. Doch worin unterscheiden sie sich – und was bedeutet das für den Schutz vor neuen KI-gestützten Bedrohungen?
DevSecOps vs. MLSecOps: Eine strukturelle Unterscheidung
DevSecOps – die Integration von Sicherheit in den DevOps-Zyklus – ist längst ein etabliertes Paradigma in der Softwareentwicklung. Es steht für den Wandel von Sicherheitsmaßnahmen als spätem Kontrollmechanismus hin zu einem integralen Bestandteil des gesamten Entwicklungsprozesses. Sicherheits-Teams arbeiten dabei eng mit Entwickler:innen und Operations zusammen, um automatisierte Sicherheitstests, Continuous Monitoring und Compliance-Vorgaben frühzeitig abzubilden.
MLSecOps (Machine Learning Security Operations) hingegen ist ein vergleichsweise junges Konzept. Es erweitert die DevSecOps-Prinzipien gezielt um Aspekte für Machine-Learning-Pipelines. MLSecOps berücksichtigt dabei spezifische Angriffsvektoren gegen ML-Modelle – wie Adversarial Attacks, Data Poisoning oder Model Inversion – und implementiert Schutzmechanismen, die sowohl die Trainingsdaten, als auch die Modelle und deren Einsatzumgebung absichern.
Ein zentrales Ziel von MLSecOps ist es, Vertrauen und Resilienz in KI-getriebene Anwendungen zu schaffen. Denn anders als klassische Software unterliegt KI einem iterativen, datengetriebenen Lernprozess – mit inhärenten Unsicherheiten und Angriffsmöglichkeiten, die klassische DevSecOps-Strategien nicht vollständig abdecken.
KI als Angriffsfläche: Neue Herausforderungen im Sicherheitskontext
Die Integration von KI-Technologien – etwa durch Sprachmodelle, Entscheidungsengines oder autonomes Verhalten – schafft neue potenzielle Einfallstore für Angreifer. Laut dem aktuellen IBM X-Force Threat Intelligence Index 2024 haben Angriffe auf KI-gestützte Systeme um 31 % zugenommen, verglichen mit dem Vorjahr. Besonders häufig betroffen sind Anwendungen im Finanz-, Gesundheits- und Logistiksektor.
Ein prominentes Beispiel ist der Einsatz von sogenannten Adversarial Inputs. Dabei werden manipulierte Eingabedaten – etwa leicht veränderte Bilder oder Texte – genutzt, um das Verhalten eines KI-Modells gezielt zu steuern oder zu täuschen. Systeme der öffentlichen Sicherheit, medizinische Diagnostik oder automatisierte Kreditbewertungen sind dadurch massiv gefährdet, wenn Schutzmechanismen fehlen.
Hinzu kommen Risiken durch unzureichend kontrollierte Trainingsdaten. Data Poisoning zielt darauf ab, diese gezielt zu manipulieren, um später nachvollziehbare Verzerrungen oder Sicherheitslücken im Modellverhalten zu erzeugen. Hier setzt MLSecOps mit automatisierter Datenvalidierung, automatischen Verschlagwortungssystemen und kontinuierlicher Modellüberwachung an.
Security by Design für KI: Der Stellenwert regulatorischer Rahmenwerke
Mit dem Cyber Resilience Act (CRA) hat die EU im Jahr 2023 einen entscheidenden Schritt zur Regulierung digitaler Produkte getan. Zwar richtet sich der CRA primär an Hersteller von „Produkten mit digitalen Elementen“, doch auch KI-Systeme fallen darunter, wenn sie in sicherheitskritischer Infrastruktur oder Verbraucheranwendungen integriert sind.
Christopher Robinson, Director of Security Communications bei Red Hat, betont im Interview die Bedeutung standardisierter Sicherheitspraktiken für KI-basierte Software: „Ohne eine belastbare Sicherheitsarchitektur, die Datenintegrität, Modellverhalten und betrieblichen Kontext verbindet, laufen wir Gefahr, vertrauenswürdige Systeme schon beim Deployment zu kompromittieren.“
Der CRA verpflichtet Hersteller etwa zur Umsetzung sicherer Software-Entwicklungsprozesse, zur kontinuierlichen Sicherheitsüberwachung sowie zur Erstellung von SBOMs (Software Bill of Materials) – eine Maßnahme, die Robinson als essenziell für ml-getriebene Produkte ansieht: „Nur wer weiß, welches Modell mit welchen Daten in welcher Version läuft, kann effektive Incident Response aufbauen.“
Von der Theorie zur Praxis: DevSecOps und MLSecOps richtig umsetzen
Zahlreiche Unternehmen stehen derzeit an der Schwelle, ihre Entwicklungspipelines KI-fähig zu machen – oder aktiv ML-Anwendungen in Geschäftsprozesse zu integrieren. Doch viele DevSecOps-Teams haben wenig Erfahrung mit den spezifischen Anforderungen sicherer KI-Modelle. Eine praxisnahe Orientierung liefert der NIST AI RMF (Artificial Intelligence Risk Management Framework), der seit 2023 konkrete Leitplanken für vertrauenswürdige KI-Entwicklung bietet.
MLSecOps greift die darin formulierten Prinzipien wie Transparenz, Rechenschaftspflicht und Robustheit auf und operationalisiert sie innerhalb automatisierter Pipelines. Entscheidende Unterschiede zu DevSecOps bestehen etwa in:
- Der Notwendigkeit kontinuierlicher Datenqualitätskontrolle zur Vermeidung von Bias und Manipulation.
- Der Integration von Threat Modeling für ML-Spezifika (z. B. Modell-Inversion oder Transfer-Angriffe).
- Dem Einsatz spezieller Red-Teaming-Verfahren für KI-Modelle.
Ein starker Trend ist der Einsatz von MLOps-Plattformen wie MLflow, Seldon oder Kubeflow, die zunehmend erweiterte Security-Module für Data Lineage, Rollen- und Kontextbasiertes Zugriffsmanagement sowie automatisierte Drift Detection integrieren.
Eine Analyse von Gartner (2024) zeigt: Bis 2026 wird mehr als die Hälfte aller Unternehmen MLSecOps-Prinzipien in ihre CI/CD-Umgebung integriert haben – eine massive Steigerung gegenüber nur 8 % im Jahr 2022.
MLSecOps in der Praxis: Was Teams konkret tun können
Um den Übergang von DevSecOps zu MLSecOps strukturiert und sicher zu gestalten, empfiehlt sich ein gestufter Ansatz. Unternehmen sollten mit der Sichtung ihrer bestehenden Security-Pipeline beginnen und gezielt überprüfen, wo ML-Komponenten besondere Anforderungen stellen:
- Bedrohungsanalyse erweitern: Ergänzen Sie klassische Threat Models um ML-spezifische Attacken wie Adversarial Manipulation und Model Theft.
- Datenverantwortung institutionalisieren: Führen Sie klare Prozesse und Verantwortlichkeiten für Training, Evaluation und Monitoring von Datenströmen ein.
- Red-Teaming automatisieren: Nutzen Sie Tools für adversarial Testing und automatisiertes Penetration-Testing von KI-Modellen, um reale Angriffsszenarien konsequent zu simulieren.
Ein weiterer Handlungsschwerpunkt liegt im organisatorischen Wandel: Viele DevSecOps-Teams benötigen Schulungen zur Funktionsweise von Machine Learning, um beim Thema Sicherheit fundierte Entscheidungen treffen zu können.
Blick nach vorn: MLSecOps als Rückgrat zukünftiger KI-Sicherheit
Die zunehmende Adaption von generativer KI, Reinforcement Learning und autonomen Entscheidungsalgorithmen verlangt langfristig nach einem neuen Sicherheitsverständnis. Sicherheitsstrategien müssen explizit die Adaptivität und Selbstveränderlichkeit von Software berücksichtigen.
Dabei wird auch die Rolle von Red-Teaming und KI-Audits künftig stärker reguliert und industrialisiert. Unternehmen wie Google, Meta und OpenAI arbeiten derzeit an einheitlichen Benchmarks für Robustheit und Resilienz von KI-Modellen – Initiativen, die mittelfristig auch aufs Compliance-Niveau Einfluss nehmen werden.
Christopher Robinson sieht MLSecOps als zentrale Säule moderner Cybersicherheit: „Wenn KI das Rückgrat künftiger digitaler Transformation ist, dann ist MLSecOps das Immunsystem. Wer heute nicht investiert, riskiert morgen ein ökonomisches Systemversagen.“
Fazit: Jetzt handeln statt abwarten
Die Integration von Machine Learning in geschäftskritische Prozesse kann ein Wettbewerbsvorteil sein – aber nur, wenn Sicherheit, Governance und Resilienz von Anfang an mitgedacht werden. DevSecOps bietet dafür eine gute Grundlage. Doch erst MLSecOps adressiert die besonderen Herausforderungen und neuen Angriffsflächen durch KI. Die zunehmende Regulierung auf EU-Ebene macht diesen Wandel nicht nur notwendig, sondern verpflichtend.
It- und Security-Verantwortliche sollten jetzt evaluieren, wie ihre bestehenden Sicherheitsprozesse fit für den KI-Einsatz gemacht werden können. Die Zeit, MLSecOps als neue Sicherheitslinie zu etablieren, ist jetzt.
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