Im Zeitalter digitaler Abhängigkeiten rückt die Idee nationaler Technologieplattformen immer stärker in den Fokus strategischer Digitalpolitik. Der Deutschland-Stack gilt dabei als Schlüsselprojekt für digitale Souveränität – doch wie steht er im Vergleich zu Initiativen in Frankreich, China oder den USA?
Was ist der Deutschland-Stack?
Der Deutschland-Stack ist ein strategisches Projekt der deutschen Bundesregierung, dessen Ziel es ist, eine gemeinsame, interoperable und souveräne Technologieplattform für öffentliche Verwaltungen aufzubauen. Im Kern geht es dabei um standardisierte Bausteine – wie digitale Identitäten, Sicherheitsarchitekturen, Cloud-Infrastrukturen und Schnittstellenstandards –, die föderal einsetzbar und EU-kompatibel sind.
Initiator ist das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), unter maßgeblicher Beteiligung des IT-Planungsrats und dem Zentrum für digitale Souveränität (ZenDiS). Nach aktuellem Stand (Q3/2025) umfasst der Stack unter anderem:
- Ein Identity-Framework auf Basis von OpenID Connect und eIDAS 2.0
- Ein föderiertes Cloud-Ökosystem (z. B. SOBER für Behördenhosting)
- Einheitliches Logging, Monitoring und DevSecOps-Komponenten
- Standards für Interoperabilität und API-Governance (via FITKO)
Das übergeordnete Ziel: Die Reduzierung von Abhängigkeiten von US- oder chinesischen Hyperscalern, die Erhöhung der Resilienz kritischer Infrastrukturen und der Aufbau eines digital souveränen Handlungsspielraums.
Digitale Souveränität im internationalen Vergleich
Deutschland steht mit diesem Ansatz nicht allein. In einer global zunehmend geopolitisierten Digitalwelt haben mehrere Länder ähnliche nationale Technologieprojekte gestartet, um Kernbereiche ihrer IT-Infrastruktur wieder selbst zu gestalten oder zu kontrollieren.
Frankreich: Souveraineté numérique mit „NumSpot“ & Co.
Frankreich verfolgt mit seiner Digitalstrategie die Vision einer „souveränen Cloud“ unter nationalem oder europäischem Recht. Die Plattform NumSpot, ein Joint Venture von Docaposte, Dassault Systèmes und Outscale (Tochter von Dassault), ist ein Vorzeigeprojekt hierfür. Sie bietet Cloud-Dienste nach SecNumCloud-Zertifizierung der ANSSI (französische Cybersicherheitsbehörde) und zielt auf Behörden und regulierte Sektoren.
Paris verfolgt dabei einen industriepolitischen Ansatz: Ziel ist es, eigene Clouds und Open-Source-Plattformen zu stärken und den Einfluss US-amerikanischer Anbieter wie AWS, Azure oder Google Cloud zu begrenzen. Zudem werden Innovationscluster wie das Pôle d’excellence numérique explizit gefördert.
China: Totale Kontrolle durch Digitalplattformen à la CNDP
China hat eine vollkommen andere Ausrichtung: Die „China National Digital Platform“ (CNDP), ein übergreifender Rahmen für Verwaltungsdatenverkehr und digitalen Servicezugang, ist tief in das landesweite Sozialkreditsystem und eine autoritäre Regulierung eingebettet. Kerntechnologien wie KI, Big Data und Distributed Ledger-Technologien werden gezielt durch Staatsunternehmen kontrolliert entwickelt.
Im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich geht es China dabei weniger um Föderalismus und Offenheit, sondern um zentrale Datenaggregation, umfassende Governance und wirtschaftspolitische Lenkung durch digitale Mittel.
USA: Open-Source-Offensive statt zentraler Stack
Die Vereinigten Staaten setzen weniger auf eine zentrale Plattform als vielmehr auf sektorale Digitalstrategien, gestützt durch mächtige Open-Source-Initiativen wie Cloud Native Computing Foundation (CNCF) oder OpenSSF. Behörden nutzen vermehrt Zero-Trust-Architekturen, Identity-Gateways und GovCloud-Angebote von Amazon und Microsoft, aber unter inzwischen strenger regulatorischer Aufsicht (z. B. durch CISA).
Statt nationaler Plattformen fördern die USA gezielt sichere Referenzarchitekturen, FISMA-konforme Frameworks und NIST-Standards, um Resilienz, Sicherheit und Skalierbarkeit über Branchen hinweg zu gewährleisten.
Strategische Unterschiede auf einen Blick
- Governance: Deutschland und Frankreich setzen auf föderale Koordination; China auf staatliche Zentralisierung; USA auf Public-Private-Partnerships.
- Technologische Basis: Deutschland betont Open Source und Interoperabilität, Frankreich folgt einem regulierten Souveränitätsansatz, die USA auf Innovationswettbewerb und Modularität, China auf proprietäre Kontrolle.
- Rechtsrahmen: Während die EU durch DSGVO und Cyber Resilience Act Maßstäbe setzt, operiert China mit autoritärer Normsetzung und die USA primär mit sektoralen Compliance-Rahmen.
Herausforderungen des Deutschland-Stacks
Trotz klarer Zielsetzung bleibt die praktische Umsetzung komplex. Föderale Heterogenität, unklar definierte Zuständigkeiten und teils fehlende Ressourcen auf lokaler Ebene bremsen den Fortschritt.
Laut einer Untersuchung des Nationalen Kontrollrats Digitalisierung (Mai 2024) sehen nur 41 % der Kommunen „klare Vorteile“ im Einsatz des Deutschland-Stacks, während 34 % mangelnden Support und zu wenig Reife der Komponenten bemängeln.
Auch die Integration bestehender Fachverfahren und Legacy-Systeme stellt ein Hemmnis dar. Gleichzeitig wächst der Druck, mit internationalen Modellen technologisch Schritt zu halten – insbesondere im Bereich vernetzter Dienste, KI und E-Government.
Best Practices aus Frankreich und den USA
Im internationalen Vergleich zeigen sich folgende Erfolgsfaktoren anderer Länder:
- Frankreich: Die klare politische Priorisierung und Finanzierung souveräner Plattformen erleichtert deren Marktdurchdringung. Durch verpflichtende Nutzung in Behörden wird Daseinsvorsorge digital transformiert.
- USA: Mit einem agilen Framework bestehend aus Open-Source-Komponenten gelingt es, Innovationskraft mit Sicherheit zu kombinieren. Das NIST Cybersecurity Framework wird dabei über Bundesbehörden hinaus auch von Unternehmen breit angewandt.
- China: Die Verzahnung digitaler Plattformen mit staatlicher Steuerlogik sorgt für teils überlegene Skalierbarkeit – allerdings auf Kosten von Datenschutz und Offenheit.
Deutschland kann davon lernen: Ein verbindlicher Rahmen, ausreichende Mittel und eine stärkere Anreizstruktur – etwa durch Förderprogramme, Standards oder Nutzungsverpflichtungen – wären zentrale Hebel.
Empfohlene Maßnahmen für erfolgreiche digitale Souveränität
- 1. Verbindlichkeit schaffen: Der Deutschland-Stack muss durch gesetzliche Verankerung und klare Etablierung von Zuständigkeiten auf Bundes- und Länderebene gestärkt werden.
- 2. Entwicklung beschleunigen: Durch agile Development-Hubs mit Open-Source-Orientierung (z. B. ZenDiS, GovDigital) sollte die Modulreife schneller vorangetrieben werden.
- 3. Verfahrenstransparenz sichern: Rollouts müssen mit KPI-basiertem Monitoring und standardisierten Evaluierungen begleitet werden, um Vertrauen und Qualität zu stärken.
Statistiken: Digitale Souveränität im Zahlenvergleich
- Laut Bitkom-Studie (Digital Sovereignty Monitor, 2024) sehen 67 % der IT-Entscheider aus Behörden digitalen Souveränitätsschutz als „kritische langfristige Investition“.
- Eine Erhebung des European Government Digital Index (EGDI 2023, UN DESA) zeigt: Frankreich liegt in Sachen staatlicher Cloud-Nutzung europaweit auf Rang 4, Deutschland nur auf Rang 13.
Fazit: Der Weg zur souveränen Technologieplattform ist ein Marathon
Der Deutschland-Stack ist ein vielversprechendes Vorhaben, das im internationalen Kontext jedoch deutlich zielgerichteter und konsequenter umgesetzt werden muss. Die Zukunft digital souveräner Verwaltung hängt entscheidend davon ab, wie mutig und agil Politik, Verwaltung und Technologiebranche dabei zusammenarbeiten.
Welche Erfahrungen habt ihr im Umgang mit nationalen Tech-Plattformen gemacht? Diskutiert mit uns in den Kommentaren oder teilt eure Bausteine für eine souveräne digitale Zukunft!




