Webdesign & UX

Barrierefreiheit in Web-Projekten: Erfolgreiche Strategien und Best Practices

Ein warm beleuchtetes, modernes Büro mit einem interdisziplinären Team, das bei natürlichem Tageslicht konzentriert an barrierefreien Webdesign-Elementen arbeitet, wobei helle Farben, freundliche Gesichter und authentische Details den inklusiven, kollaborativen Geist der digitalen Barrierefreiheit widerspiegeln.

Barrierefreiheit ist längst mehr als ein Nischenthema: Sie ist essenzieller Bestandteil einer modernen, inklusiven Webentwicklung. Doch wie gelingt die praktische Umsetzung von Accessibility in digitalen Projekten wirklich? Wir haben mit führenden Experten gesprochen und geben einen fundierten Überblick über Strategien, Werkzeuge und zentrale Erfolgsfaktoren.

Warum Web-Accessibility heute unverzichtbar ist

Etwa 16 % der Weltbevölkerung leben mit einer Behinderung – das entspricht über einer Milliarde Menschen. Allein in Deutschland schätzt das Statistische Bundesamt (Destatis), dass 7,9 Millionen Menschen schwerbehindert sind (Stand 2023). Hinzu kommen Personen mit temporären Einschränkungen oder altersbedingten Barrieren. Barrierefreiheit im Web ist also nicht nur eine ethische und gesellschaftliche Verpflichtung, sondern erschließt auch wirtschaftlich relevante Nutzergruppen.

Gleichzeitig erfordert das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das ab dem 28. Juni 2025 greift, dass digitale Dienstleistungen und Produkte, etwa Webseiten und Apps, bestimmten Accessibility-Vorgaben entsprechen. Unternehmen und Agenturen müssen daher jetzt aktiv werden, wenn sie künftig rechtlich sicher und nutzerzentriert agieren möchten.

Experteneinsichten: Was macht gelungene Barrierefreiheit wirklich aus?

Um herauszufinden, wie barrierefreie Lösungen praktisch gelingen, haben wir mit drei führenden Accessibility-Experten aus dem deutschsprachigen Raum gesprochen:

  • Ralf D. Müller, Accessibility Consultant aus Berlin, betont: „Barrierefreiheit darf nicht als Nice-to-have behandelt werden – sie muss von Anfang an als fester Bestandteil im Design- und Entwicklungsprozess gedacht sein.“
  • Danny Koppenhagen, Frontend-Entwickler und Accessibility-Aktivist, ergänzt: „Viele Entwickler wissen gar nicht, wie groß der Impact kleiner Änderungen ist. Schon semantisches HTML oder korrekt benannte ARIA-Rollen machen riesige Unterschiede.“
  • Maximilian Franzke, UX-Berater und Trainer für inklusives Design, hebt hervor: „Gute Accessibility ist nicht sichtbar – sie zeigt sich darin, dass niemand ausgeschlossen wird. Dafür braucht es interdisziplinäre Teams, Testing mit realen Nutzern und den Willen zur laufenden Verbesserung.“

Die Experten sind sich einig: Barrierefreiheit ist nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn sie Teil der Unternehmenskultur und kein einmaliges Projekt ist.

Techniken & Tools für mehr digitale Inklusion

Barrierefreie Webentwicklung ist kein Mysterium – es existieren erprobte Methoden und Werkzeuge, um Accessibility systematisch umzusetzen. Die wichtigsten Technologien und Ansätze umfassen:

  • Semantisches HTML: Die richtige Verwendung von header, main, nav, button oder fieldset verbessert die Screenreader-Kompatibilität erheblich.
  • WAI-ARIA: Accessible Rich Internet Applications (ARIA) ermöglichen zusätzliche Informationen für assistive Technologien, etwa Zustände von Buttons oder Navigationen.
  • WCAG-Richtlinien: Die Web Content Accessibility Guidelines (aktuell WCAG 2.2) definieren internationale Standards für barrierefreie Gestaltung.
  • Tools wie Axe, WAVE oder Lighthouse: Automatisierte Tests, die Barrieren erkennen – allerdings kein Ersatz für manuelles Testing.
  • Farbanalyse-Tools: Contrast Checker wie TPGi oder Color Oracle helfen, ausreichend Kontrast sicherzustellen und farbinduzierte Probleme zu vermeiden.

Wie eine gemeinsame Studie der DIAS GmbH und Aktion Mensch zeigt (2023), erfüllen lediglich rund 23 % der geprüften E-Commerce-Webseiten in Deutschland konsequent die Anforderungen der WCAG 2.1 AA – trotz gesetzlicher Verpflichtung und Marktpotenzial.

Accessibility beginnt im Design

Die Berücksichtigung barrierefreier Prinzipien muss bereits im UX- und UI-Design verankert sein. Dazu zählen kontrastreiche Farbgestaltung, ausreichende Touch-Zielgrößen, logische Tab-Reihenfolge und flexible Textgrößen.

Maximilian Franzke rät: „Inklusive Designsysteme sind das Fundament. Wer hier sauber arbeitet, profitiert langfristig in Wartung und Usability.“ Tools wie Figma unterstützen Accessibility mittlerweile durch Plugins wie „A11y – Color Contrast Checker“ oder „Able – Accessibility & WCAG checks“.

Praktische Handlungsempfehlungen für Designer:

  • Verwende frühzeitig Annotations zu Barrierefreiheit (z. B. Fokus-Reihenfolge, ARIA-Rollen) in Mockups.
  • Gestalte interaktive Elemente deutlich unterscheidbar und mit klarer visueller Rückmeldung.
  • Arbeite eng mit Entwicklern und Testpersonen mit Behinderung zusammen, um reale Nutzbarkeit sicherzustellen.

Wie eine IBM-Studie aus dem Jahr 2022 zeigt, verbessert eine barrierefreie UX nicht nur die Nutzerfreundlichkeit für Menschen mit Behinderungen, sondern erhöht die Conversion Rate um bis zu 15 % bei allen Nutzern.

Entwicklungsstrategien für barrierefreien Code

Zentral für barrierefreies Frontend ist die Trennung von Struktur, Präsentation und Funktion. Frameworks wie React, Angular oder Vue bieten zwar hohe Flexibilität, erfordern aber manchmal zusätzliche Maßnahmen, um mit Screenreadern korrekt zu funktionieren.

Danny Koppenhagen empfiehlt: „Jede neue Komponente sollte mit keyboard only und per Screenreader testbar sein. Auch Tooltips, Modal-Fenster oder Tabs müssen darauf ausgerichtet sein.“

  • Setze automatisierte Accessibility-Tests in der CI/CD-Pipeline ein (z. B. mit Axe-core, Pa11y oder jest-axe).
  • Vermeide Skip-Links oder Sprungmarken nicht – sie sind essenziell für Screenreader-Nutzer.
  • Denke an dynamische Inhalte wie Ajax-Updates oder Live-Ranglisten und kommuniziere deren Änderungen via ARIA-Live-Regions.

Ein moderner Tech-Stack allein garantiert keine Inklusion – entscheidend ist der Wille, Accessibility systematisch mitzudenken.

Testing und Audits: Nutzerzentriert statt formal

„Maschinen erkennen Symptome – Menschen erkennen Ursachen“, erklärt Ralf D. Müller mit Blick auf automatisierte Tests. Deshalb sei die Einbeziehung von echten Nutzer*innen mit Einschränkungen unverzichtbar.

Zentrale Methoden für brauchbare Accessibility-Audits sind:

  • Manuelle Keyboard-Tests für Fokussteuerung und Navigation
  • Screenreader-Tests mit NVDA, VoiceOver, TalkBack oder JAWS
  • User-Befragungen oder Usability-Tests mit Zielgruppen mit Seh-, Hör- oder Mobilitätsbeeinträchtigungen

Agenturen sollten daher Partnerschaften mit inklusiven Testlaboren aufbauen oder externe Accessibility-Consultants einbinden. Berichte aus der Praxis zeigen, dass dieses Vorgehen Fehlerquoten um 35–50 % reduziert (Quelle: IAAP Benchmark Report 2023).

Fazit: Barrierefreiheit als Kulturveränderung

Barrierefreie Webentwicklung ist keine Checkbox, sondern eine Haltung. Sie beginnt beim ersten Wireframe, setzt sich fort im sauberen Markup, wird geprüft durch Testing und getragen von crossfunktionalen Teams. Wer Accessibility als kontinuierlichen Prozess versteht, profitiert nicht nur rechtlich, sondern gewinnt loyalere Nutzer, bessere Usability – und letztlich wirtschaftlichen Erfolg.

Die Community hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht – aber es bleibt viel zu tun. Wie gehst du in deinen Projekten mit Barrierefreiheit um? Teile deine Erfahrungen und Tools über #a11yDE auf X oder LinkedIn – und lass uns voneinander lernen.

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