Cloud-Technologien sind das Rückgrat der digitalen Transformation. Doch Europas Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern gefährdet seine digitale Souveränität. Interoperable Clouds könnten die Lösung sein – ein entscheidender Hebel, um Kontrolle, Innovationsfähigkeit und Datenschutz in europäischen Händen zu halten.
Was bedeutet digitale Souveränität – und warum ist Cloud-Interoperabilität der Schlüssel?
Digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeit von Staaten, Unternehmen und Individuen, Informationen und digitale Infrastrukturen unabhängig und sicher zu verwalten. Im europäischen Kontext hat die zunehmende Marktkonzentration auf wenige nicht-europäische Cloud-Anbieter – etwa Amazon Web Services, Microsoft Azure oder Google Cloud – sowohl politische als auch wirtschaftliche Bedenken ausgelöst.
Laut Eurostat nutzten 2023 bereits 45 % aller Unternehmen in der EU Cloud-Dienste – ein Sprung um 6 Prozentpunkte im Vergleich zu 2021. Dabei dominieren US-amerikanische Anbieter mit einem Marktanteil von über 70 % (Quelle: Synergy Research Group, 2023). Die Gefahr: Abhängigkeit von proprietären Clouds behindert den Wettbewerb, erschwert den Wechsel des Providers (Vendor Lock-in) und macht rechtssichere Datenverarbeitung gemäß DSGVO zur Herausforderung.
Die Antwort Europas liegt im Aufbau eines offenen, föderierten Cloud-Ökosystems mit klarer technischer und rechtlicher Interoperabilität. Interoperable Clouds ermöglichen es Anwendungen, Daten und Prozesse nahtlos zwischen verschiedenen Cloud-Plattformen zu bewegen – ohne proprietäre Barrieren oder Inkompatibilitäten.
Initiativen auf europäischer Ebene: GAIA-X, IPCEI, CISPE & Co.
Mehrere europäische Initiativen treiben den Aufbau interoperabler Cloud-Infrastrukturen aktiv voran. Die bekannteste ist GAIA-X: ein 2020 initiiertes Projekt, das europäische Cloud-Dienste auf Basis von Offenheit, Interoperabilität, Sicherheit und Transparenz fördern soll. GAIA-X versteht sich nicht als Cloud-Anbieter, sondern definiert Standards, Rahmenwerke und föderierte Strukturen, in denen völlig unterschiedliche Anbieter miteinander kompatibel agieren können.
Ergänzt wird GAIA-X durch das IPCEI Next Generation Cloud Infrastructure and Services (gefördert durch die EU-Kommission seit 2023), das Investitionen von mehr als 5 Milliarden Euro bündelt, um strategisch relevante Cloud- und Edge-Technologien zu entwickeln. Auch der Verband CISPE (Cloud Infrastructure Services Providers in Europe) setzt sich für faire Wettbewerbsbedingungen ein und bietet mit dem „CISPE Data Protection Code of Conduct“ einen DSGVO-konformen Rahmen für Cloud-Dienste.
Die wirtschaftliche Dimension: Wettbewerb, Innovation und Mittelstand
Interoperabilität senkt Marktbarrieren und sorgt für dynamischen Wettbewerb. Davon profitieren vor allem europäische KMU und Start-ups, die so einfacher Cloud-Anwendungen entwickeln und auf unterschiedlichen Plattformen betreiben können. Das reduziert Kosten, beschleunigt Innovationszyklen und stärkt die technologische Resilienz.
Eine im Auftrag der EU durchgeführte Studie von Capgemini (2023) zeigt: Unternehmen, die auf offene Standards setzen, steigern ihre IT-Flexibilität um bis zu 35 % und senken Migrationskosten im Schnitt um 25 %. Auch der Zugang zu mehreren regional verteilten Cloud-Standorten hilft beim Einhalten lokaler Datenschutzregelungen.
Technische Grundlagen der Interoperabilität: APIs, Container, Datenformate
Technisch basiert Cloud-Interoperabilität auf einer Vielzahl offener Standards und Basistechnologien:
- APIs (Application Programming Interfaces): Sie ermöglichen die Interaktion zwischen Diensten unterschiedlicher Anbieter. REST-basierte APIs sowie gängige Authentifizierungsstandards wie OAuth2 oder OpenID Connect sind essenziell.
- Containerisierung und Orchestrierung: Dank Technologien wie Docker und Kubernetes lassen sich Anwendungen mit allen Abhängigkeiten verpackt betreiben und flexibel zwischen Clouds verschieben.
- Offene Datenformate: Formate wie JSON, YAML oder XML sorgen für Portabilität von Konfigurationsdaten und Workloads.
Zentral ist auch die Einhaltung der ISO/IEC 19941 (Interoperability and Portability) sowie die Berücksichtigung der ETSI-Normen für föderierte Cloud-Architekturen.
Politische Perspektiven: Europas Cloud-Strategie braucht klare Regulierungen
Die Kommission betont in ihrer „Digital Strategy 2030“, dass die Europäische Union eigene, offene digitale Infrastrukturen aufbauen muss – auch als Gegenmaßnahme zur globalen Abhängigkeit. Der im April 2024 in Kraft getretene EU Data Act bringt einen wichtigen regulatorischen Schub: Er verpflichtet Cloud-Anbieter zur Datenportabilität und zum Ausstiegspfad („Switching“) – und fördert so die Interoperabilität strukturell.
Auch das neue Cloud Rulebook der EU, das derzeit in Ausarbeitung ist, sorgt für mehr Rechtssicherheit, insbesondere bei grenzüberschreitender Datenverarbeitung. Eine reflektierte Aussage des Think Tanks Bruegel unterstreicht die Lage: „Europäische digitale Souveränität wird nicht durch Autarkie erreicht, sondern durch vernetztes Handeln und kontrollierte Interoperabilität.“
Praktische Anforderungen an Entwickler und Entscheider
Cloud-Entwicklung in einem interoperablen Umfeld erfordert neue Kompetenzen – und ein Umdenken bei der Plattformwahl. Folgende Empfehlungen helfen Unternehmen und Entwicklern, sich optimal zu positionieren:
- Setzen Sie auf Multi-Cloud-fähige Architekturen: Planen Sie Anwendungen von Anfang an so, dass sie auf mehreren Cloud-Plattformen lauffähig sind – etwa durch Containerisierung und standardisierte Deployment-Werkzeuge.
- Wählen Sie Anbieter mit offenen Schnittstellen: Achten Sie bei der Wahl Ihres Cloud-Providers auf offene APIs, transparente Datenverarbeitung und Zertifizierungen gemäß EU-Standards.
- Fördern Sie Know-how zu Open-Source-Tools: Kubernetes, Terraform, OpenStack & Co. sind zentrale Technologien für interoperables Cloud-Management – entsprechendes Wissen im Team ist unerlässlich.
Ausblick: Europas Chance, die Cloud-Zukunft mitzugestalten
Interoperable Clouds sind kein Selbstzweck, sondern die Grundlage für Innovation, Resilienz und Unabhängigkeit. Wenn Europa Infrastrukturstandards definiert, eigene Anbieter stärkt und Rechtsrahmen klug einsetzt, eröffnet sich eine neue Ära der digitalen Souveränität. Dabei gilt: Souveränität ist kein Zustand, sondern ein Prozess.
Was denken Sie: Wie kann Europa seine technologische Unabhängigkeit in der Cloud sinnvoll und nachhaltig gestalten? Diskutieren Sie mit unserer Community, teilen Sie Erfahrungen und Best Practices – und gestalten Sie den digitalen Kontinent aktiv mit!




