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Digitale Souveränität und europäische Cloud-Initiativen: Ein Überblick

Ein helles, warm beleuchtetes Büro mit mehreren Personen europäischer Herkunft, die konzentriert an modernen Laptops arbeiten, während durch große Fenster sanftes Tageslicht strömt und eine Atmosphäre von Vertrauen, Zusammenarbeit und technologischer Souveränität ausstrahlt.

In einer digitalen Welt, in der Daten mehr denn je als strategisches Gut gelten, wird digitale Souveränität zum Schlüsselthema für Europa. Doch welche Fortschritte machen europäische Cloud-Initiativen – und genügt das, um echte technologische Unabhängigkeit zu erreichen?

Was bedeutet digitale Souveränität im europäischen Kontext?

Digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeit eines Staates, Unternehmens oder einer Gesellschaft, digitale Technologien eigenständig und unabhängig zu nutzen, zu gestalten und zu kontrollieren. Im europäischen Kontext heißt das: mehr Kontrolle über Datenflüsse, Infrastruktur und Software – und weniger Abhängigkeit von außereuropäischen Cloud-Anbietern wie Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure oder Google Cloud.

Laut einer aktuellen Umfrage der Europäischen Kommission fühlen sich nur 22 % der europäischen Unternehmen bei der Nutzung von Public-Cloud-Diensten vollständig datensouverän. Gerade in sicherheitskritischen Sektoren wie dem Gesundheitswesen, dem Finanzwesen und der öffentlichen Verwaltung besteht ein wachsender Bedarf an europäischen Lösungen, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)-konform sind und höchsten Sicherheitsanforderungen entsprechen.

Warum Europas Weg in die Cloud kein einfacher ist

Der europäische Cloud-Markt ist nach wie vor stark fragmentiert. Während Hyperscaler aus den USA den Markt mit skalierbarer Infrastruktur und großen Innovationsbudgets dominieren, mangelt es europäischen Anbietern oft an vergleichbarer Reichweite, Investitionskraft und globalen Netzwerken. Zugleich wächst der regulatorische Druck:

  • Mit der DSGVO schreibt Europa strenge Datenschutzstandards vor, die von außereuropäischen Anbietern technisch nur schwer vollständig eingehalten werden können.
  • Initiativen wie der Data Governance Act und der European Data Act zielen auf den Aufbau eines souveränen Datenökosystems ab.
  • Die Anforderungen der kritischen Infrastrukturverordnung (NIS2) erhöhen den Bedarf an Cloud-Diensten mit umfassender Transparenz und Auditierbarkeit.

In diesem Spannungsfeld versuchen EU-Institutionen sowie führende IT-Unternehmen, tragfähige Alternativen zu etablieren. Eine dieser Lösungen ist die SAP Sovereign Cloud.

SAP Sovereign Cloud als strategischer Baustein

Die SAP Sovereign Cloud ist Teil der europäischen Antwort auf die Abhängigkeit von US-Hyperscalern. Mit dem Ziel, Unternehmen datenschutzkonforme und gesetzeskonforme Cloud-Services bereitzustellen, positioniert sich SAP als Partner für öffentliche Verwaltungen und regulierte Industrien in Europa. Technisch basiert die Lösung auf der SAP Business Technology Platform (SAP BTP) und bietet dedizierte Services in Rechenzentren innerhalb der EU.

Ein zentrales Merkmal: Die Datenhaltung und der technische Support erfolgen ausschließlich innerhalb Europas durch europäische Partner – aktuell unter anderem in Kooperation mit T-Systems und Atos. Zusätzlich erfüllt die Plattform Anforderungen wie Verschlüsselung mit Schlüsselhoheit durch den Kunden, vollständige Audit-Protokolle und Multi-Tenant-Isolierung.

Besonders bei der Migration von SAP S/4HANA in Public-Cloud-Umgebungen großer Konzerne oder Behörden gewinnt das Angebot an Attraktivität. Laut SAP können mittlerweile über 80 % der Standardfunktionen DSGVO- und IT-Grundschutz-konform in der Sovereign Cloud betrieben werden (Stand: Q4/2024).

GAIA-X: Vision und Realität

Neben SAP spielt das paneuropäische Projekt GAIA-X eine Schlüsselrolle in der Diskussion um digitale Souveränität. 2019 initiiert, verfolgt GAIA-X das Ziel, ein föderiertes, interoperables Daten- und Infrastruktur-Ökosystem zu schaffen, das Sicherheit, Transparenz und Offenheit priorisiert. Über 300 Unternehmen und Organisationen beteiligen sich aktuell an GAIA-X-Projekten, darunter BMW, Deutsche Telekom, Fraunhofer, OVH und Scaleway.

Auch wenn das Projekt von Anfang an viel Hoffnung ausgelöst hat, ist der Weg steinig: Interoperabilität, Compliance und Governance-Strukturen erfordern komplexe Koordinationen. Kritiker merken an, dass sich greifbare Ergebnisse bislang verzögern. Laut einer Analyse des Bitkom vom August 2024 sehen 62 % der deutschen IT-Entscheider GAIA-X zwar als wichtig, aber nur 28 % halten das Projekt aktuell für umsetzungsreif (Quelle: Bitkom Cloud Monitor 2024).

Gleichzeitig sind die Gaia-X Leuchtturmprojekte wie Catena-X (für die Automobilindustrie) oder Health-X (für das Gesundheitswesen) inzwischen in operative Phasen übergegangen. Sie zeigen konkret auf, wie interoperable und souveräne Datennutzung innerhalb europäischer Wertschöpfungsketten funktionieren kann.

Europäische Alternativen und ihre Positionierung

Neben SAP und GAIA-X sind auch andere europäische Anbieter auf dem Vormarsch. Beispiele:

  • OVHcloud aus Frankreich überzeugt durch ein breites Angebot an Infrastructure-as-a-Service (IaaS) und Hosting-Lösungen mit europäischer DSGVO-Konformität.
  • IONOS Cloud positioniert sich als deutsches Pendant für Public-Cloud-Dienste in kritischen Bereichen.
  • Scaleway, ebenso aus Frankreich, punktet mit modularer Architektur und Open Source-Nähe.

Diese Akteure setzen bewusst auf Transparenz, offene Schnittstellen und hohe Datenschutzstandards. Dennoch sind auch sie auf Kooperationen mit internationalen Partnern angewiesen. Ein Beispiel: OVHcloud nutzt für gewisse Services Hardware von US-Herstellern, setzt aber auf eigene Software-Control-Plane und Zertifizierungen (z. B. ISO 27001, HDS in Frankreich).

Unternehmen, die eine Umstellung auf europäische Lösungen erwägen, sollten daher technische, rechtliche und wirtschaftliche Aspekte sorgfältig gegeneinander abwägen.

Wirtschaftliche Bedeutung für europäische Rechenzentren

Die verstärkte Nachfrage nach souveräner Cloud führt auch zu einem strukturellen Wandel auf dem Markt für europäische Rechenzentren. Die Structure Research prognostiziert für Europa ein jährliches Wachstum von 12,2 % im Rechenzentrumsmarkt bis 2027 (Quelle: Structure Research Market Forecast 2024).

Mehrere internationale Anbieter wie AWS oder Microsoft planen weiterhin neue Availability Zones in Ländern wie Frankreich, Deutschland, Spanien oder Polen – mit lokalen Kontrollmechanismen zur Einhaltung der DSGVO. Gleichzeitig florieren Rechenzentrumsprojekte von Betreibern wie Green, NTT Data oder DE-CIX, die sich explizit als neutrale Colocation-Angebote in der EU profilieren.

Eine entscheidende Rolle spielt hierbei auch der Energiebedarf: Nachhaltigkeit und Energieeffizienz werden zu Differenzierungsmerkmalen. So plant IONOS bis Ende 2026, nur noch Rechenzentren mit 100 % erneuerbarer Energie zu betreiben (Quelle: IONOS Nachhaltigkeitsbericht 2023).

Technologische Herausforderungen und Sicherheitsaspekte

Damit europäische Cloud-Initiativen mit ihrer globalen Konkurrenz mithalten können, sind technologische Fortschritte essenziell. Dazu gehören unter anderem:

  • Kontinuierliche Automatisierung und Orchestrierung von Workloads über hybride und Multi-Cloud-Umgebungen hinweg.
  • Integration von KI-gestützten Services mit Low-Latency und Edge-Computing-Szenarien.
  • Entwicklung von Open-Source-basierten Governance-Strukturen und Multi-Tenant Security.

Insbesondere bei der Cybersecurity ist Kooperation gefragt: Europa muss gemeinsame Standards etablieren, etwa im Rahmen der ENISA-Zertifizierung (European Union Agency for Cybersecurity) oder der EUCS-Zertifizierung (European Cybersecurity Certification Scheme).

Drei Handlungsempfehlungen für IT-Strategen

  • Cloud-Strategie überdenken: Unternehmen sollten ihre bestehende Cloud-Infrastruktur kritisch prüfen und Compliance-Anforderungen (z. B. DSGVO, NIS2) frühzeitig berücksichtigen.
  • Hybrid-Lösungen gezielt evaluieren: Eine Kombination aus globalen und europäischen Anbietern kann Vorteile bringen, vorausgesetzt, Datenklassifikation und Risikomanagement sind klar definiert.
  • Partnernetze aufbauen: Wer europäische Cloud-Initiativen nutzen will, sollte frühzeitig in Schulungen und KI-gestützte Tools investieren sowie integrative Architekturen planen.

Fazit: Europäische Cloud-Souveränität – mehr als ein Ideal

Digitale Souveränität ist für Europa gleichermaßen technologische Herausforderung und strategisches Ziel. SAP Sovereign Cloud, GAIA-X und Anbieter wie OVHcloud oder IONOS zeigen, dass es zunehmend greifbare Alternativen zu US-Diensten gibt. Doch deren Erfolg hängt nicht allein von technischen Plattformen ab, sondern vor allem von Vertrauen, Kooperation und klaren digitalen Leitplanken.

Der nächste große Schritt wird sein, interoperable Systeme zu etablieren, die regulatorische Konformität mit wirtschaftlicher Skalierbarkeit vereinen. Nur so kann Europa langfristig die Kontrolle über sein digitales Ökosystem zurückerlangen und wettbewerbsfähig bleiben.

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