Ob als bewegendes Andenken oder irritierendes Zerrbild: KI-generierte Bilder Verstorbener sorgen weltweit für Debatten. Zwischen technischen Möglichkeiten und ethischen Grenzen stehen besonders die Rechte und Gefühle der Hinterbliebenen im Fokus.
Digitale Wiederauferstehung: Der technische Hintergrund
Mit Fortschritten in generativer KI – insbesondere durch Modelle wie DALL·E 3 oder Midjourney – ist es heute möglich, überzeugende Bilder lebensechter Personen allein anhand einer Textbeschreibung zu erzeugen. Diese Fähigkeit wurde zuletzt besonders sichtbar mit der im Februar 2024 veröffentlichten Video-KI Sora von OpenAI, die auch berühmte Persönlichkeiten wie Martin Luther King Jr. täuschend echt darstellen kann.
Kritik entfachte sich schnell an einem Fall, bei dem ein KI-generiertes Video von Martin Luther King in einem Deepfake-artigen Kontext veröffentlicht wurde – angeblich zur Inspiration und Bildungszwecken. Doch die Frage stellt sich: Wer darf entscheiden, wie das Bild eines Verstorbenen weiter „lebt“?
Rechtliche Grauzonen: Das postmortale Persönlichkeitsrecht
In Deutschland schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch Verstorbene – zumindest für eine begrenzte Zeit. Der Bundesgerichtshof (BGH) legt die postmortalen Schutzfristen bei etwa zehn Jahren fest (§ 22 KunstUrhG), bei besonders prominenten Figuren kann dieser Zeitraum bis zu 70 Jahre nach Tod (z. B. bei Urheberrecht) betragen. In den USA ist die Rechtslage diffuser und variiert je nach Bundesstaat: Während Kalifornien mit dem „Right of Publicity“ auch nach dem Tod Schutz bietet, gibt es in anderen Staaten keinerlei Schutzrahmen.
Ein herausforderndes Beispiel ist der Nachlass von Martin Luther King Jr., der von einer Non-Profit-Stiftung verwaltet wird. Während einige seiner Reden und Bilder gemeinfrei sind, ist die kommerzielle Nutzung seiner Person reguliert und in vielen Fällen genehmigungspflichtig. Dies macht klar: Der Einsatz KI-generierter Abbilder berühmter Verstorbener ist nicht per se legal – er kann gegen Schutzrechte oder ethische Prinzipien verstoßen.
Ethik jenseits des Gesetzes: Emotionale und gesellschaftliche Implikationen
Unabhängig von der rechtlichen Seite werfen KI-generierte Bilder von Verstorbenen erhebliche ethische Fragen auf. Eine aktuelle Studie der Northwestern University (2024) mit über 1.200 Teilnehmer:innen aus den USA und Europa zeigte, dass 76 % es als „unangemessen“ empfinden, wenn KI Bilder von kürzlich Verstorbenen ohne Zustimmung der Familie generiert. Besonders sensibel reagieren Befragte, wenn es sich um realistische Darstellungen in emotionalen Kontexten handelt – wie z. B. bei Traueranzeigen, Gedenkseiten oder Bildungsprojekten.
Der Einsatz solcher Bilder kann Erinnerungsbilder von Angehörigen verzerren oder retraumatisierend wirken. Besonders problematisch wird es, wenn KI-Verstorbene Aussagen tätigen, die sie so nie gemacht hätten – wie es in einigen KI-gestützten Videos der Fall war.
Fallbeispiel Sora: Martin Luther King als KI-Gesicht?
OpenAI sorgte Anfang 2024 mit einem Werbevideo für Aufsehen, in dem mithilfe von Sora ein fiktives Interview-Setting mit Martin Luther King Jr. generiert worden war. Ziel war laut OpenAI, „die Vision großer Denker auch visuell zugänglich zu machen“. Doch schnell regte sich Widerstand: Bürgerrechtsgruppen und Teile der King-Familie äußerten Bedenken hinsichtlich der Würde und Authentizität dieser Darstellung. Die Simulation von Stimme und Gestik basierte auf historischen Reden – allerdings ohne explizite Einwilligung des Nachlasses.
Der Fall zog internationale Aufmerksamkeit auf sich und veranlasste unter anderem UNESCO sowie die Electronic Frontier Foundation (EFF), Richtlinien für den Einsatz generativer KI in Bezug auf frühere Persönlichkeiten zu fordern.
Regulierung gefordert: Internationale Standards in Sicht?
Auf europäischer Ebene bringt der EU AI Act, der 2025 in Kraft treten soll, erste Rahmenbedingungen für den Einsatz generativer KI. Zwar deckt der bisherige Entwurf die Darstellung Verstorbener nicht explizit ab, doch Ethikkommissionen und Datenschutzbeauftragte drängen auf Erweiterungen. In den USA fordern unter anderem Senatoren aus Kalifornien und Massachusetts ein bundesweites Deepfake Consent Law, das auch postmortale Rechte besser schützt.
Laut einer Analyse von Gartner (Mai 2025) fehlt in über 87 % der aktuellen KI-Projekte eine eindeutige Richtlinie zum Umgang mit historischen Figuren – ein Compliance-Risiko insbesondere für Bildungsanbieter, Museen und Medienunternehmen.
Ein weiterer Treiber der Debatte: Der kommerzielle Wert digitaler Abbilder. Prominente wie der verstorbene Schauspieler James Dean wurden bereits KI-basiert in neuen Filmen eingesetzt, was eine fließende Grenze zwischen Huldigung und Ausbeutung darstellt.
Empfehlungen für Plattformen, Entwickler und Nutzer:innen
In Anbetracht der Herausforderungen ist ein verantwortungsvoller Umgang mit KI-generierten Bildern Verstorbener essenziell. Fachleute aus Recht, Ethik und Design haben auf mehreren Konferenzen 2024 und 2025 Empfehlungen formuliert, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:
- Einwilligung priorisieren: Für Verstorbene sollte – sofern möglich – die schriftliche Zustimmung der Hinterbliebenen oder Nachlasshalter:innen eingeholt werden.
- Klare Kennzeichnung: KI-generierte Inhalte müssen visuell und textlich eindeutig als „synthetisch“ oder „fiktional“ deklariert sein.
- Kontext beachten: Insbesondere bei öffentlichkeitswirksamen Inhalten in Bildung, Werbung oder Gedenkanwendungen sollte der kulturelle und emotionale Kontext berücksichtigt werden.
Darüber hinaus empfehlen Fachjurist:innen, technische KI-Systeme mit sogenannten „Red-Flag-Protokollen“ auszustatten, die Namen bekannter Verstorbener automatisch markieren und eine Genehmigungsprüfung anstößt. Solche Systeme sind derzeit in Pilotprojekten globaler Tech-Plattformen in Erprobung.
Blick in die Zukunft: Verantwortung ist der Schlüssel
Mit der anhaltenden Entwicklung im Bereich text-to-image- und text-to-video-KI wird die Nutzung von Bildern Verstorbener weiter zunehmen. Laut einer Prognose des Marktforschungsunternehmens MarketsandMarkets (2025) sollen bis 2027 rund 9 % der Bildungsinhalte weltweit KI-synthetisch mit historischen Abbildungen angereichert werden – ein wachsender Ethikdiskurs ist vorprogrammiert.
Es braucht deshalb globale Leitlinien, einen informierten Diskurs – und Plattformen, die sich ihrer Verantwortung stellen. Nur durch gemeinsame Standards können technologische Innovationen im Einklang mit Würde, Geschichte und Menschenrechten gestaltet werden.
Fazit: Die künstliche Wiederbelebung Verstorbener durch KI ist kein rein technisches Thema. Es ist ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Werte im digitalen Zeitalter – zwischen Gedenken, Geschichtsbewahrung und Verantwortung.
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