Ein Wasserfall mitten in der mongolischen Wüste? Ein verlassenes japanisches Dorf mit leuchtenden Kirschblüten das ganze Jahr über? Zahlreiche Nutzer berichten, dass sie auf der Basis von KI-generierten Empfehlungen zu nicht existierenden Orten reisen wollten – ein wachsendes Phänomen, das reale Konsequenzen für Touristen und die Reisebranche hat.
Wenn KI-Fantasie zur Realität wird
Generative KI hat sich in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Tools wie ChatGPT, Google Gemini oder Bing AI werden zunehmend für kreative Zwecke genutzt – auch zur Reiseplanung. Immer öfter erstellen sie individuelle Reiserouten, schlagen verborgene Orte vor oder „empfehlen“ Geheimtipps, von denen nicht einmal lokale Behörden gehört haben. Doch was passiert, wenn genau diese Tipps in die Irre führen?
Reisegruppen auf Reddit, TikTok und YouTube berichten immer häufiger von solchen Fällen. Ein Beispiel: Der angeblich spektakuläre „Glitter Lake“ in Kanada, empfohlen von verschiedenen KI-Plattformen. Wanderer reisten dorthin – und fanden nichts als ein gewöhnliches Feuchtgebiet ohne besonderen Namen. Die Ursache: Ein Zusammenspiel aus schlecht trainierten Sprachmodellen, Halluzinationen und fehlenden Faktenprüfungen in der KI-Ausgabe.
Wie entstehen die falschen Reiseziele?
Das Problem liegt in der Art und Weise, wie generative KI funktioniert. Sprachmodelle basieren auf Wahrscheinlichkeit: Sie generieren Text, der statistisch plausibel wirkt – nicht notwendigerweise faktisch korrekt ist. Hinzu kommt, dass viele KI-Systeme auf Trainingsdaten beruhen, die anonymisierte Auszüge aus Webseiten enthalten, darunter auch veraltete, nicht überprüfte oder satirische Inhalte. Orte, die häufig erwähnt werden, können verstärkt werden – auch wenn sie nie existierten.
Die London School of Economics veröffentlichte dazu im Juni 2024 eine Studie, laut der rund 47 % der von KI generierten Reisetipps fehlerhaft oder nicht belegbar waren (Quelle: AI and Travel Planning Report 2024). Besonders problematisch sei dies bei „Hidden Gems“, bei denen Nutzer bewusst versuchen, touristisch unerschlossene Regionen zu entdecken.
Der Reiz des Unbekannten als Fallstrick
Das Narrativ vom unentdeckten Ort ist nicht neu – doch mit KI bekommt es eine neue Dimension. Früher basierten Geheimtipps auf Foren oder persönlichen Reiseblogs. Heute polarisiert ein KI-generierter Vorschlag mit dramatischen Bildern, erzeugt durch Midjourney oder DALL·E, ein breites Publikum in sozialen Netzwerken. Die Realevaluierung folgt oft erst viel später – wenn enttäuschte Touristen melden, dass der Ort gar nicht existiert oder stark übertrieben wurde.
Ein viraler Fall: Die fiktive thailändische Insel „Koh Maru“, die Tausende auf TikTok begeistert hat. Google Maps kannte sie nicht, und dennoch wurde sie von KI-Chatbots mehrfach als Reiseziel genannt. Hintergrund: Der Name war eine fehlerhafte Kombination aus echten Inselbezeichnungen, die von der KI neu zusammengesetzt wurden.
Ökonomische und ökologische Folgen
Neben individueller Enttäuschung gibt es substanzielle Auswirkungen. Wenn Hunderte Tourist:innen zu einem Ort reisen, der nicht auf hohe Besucherzahlen vorbereitet ist – oder gar nicht existiert – entstehen Probleme:
- Lokale Infrastrukturen werden belastet (z. B. Parkplätze, Müllentsorgung, Notfallversorgung).
- Ökologische Schäden durch unkontrollierte Erschließung vermeintlich entlegener Naturgebiete.
- Tourismus-Desinformation reduziert das Vertrauen in seriöse Reiseportale und offizielle Quellen.
Eine Umfrage der Europäischen Reiseplattform eTOUR 2024 ergab, dass 68 % der jüngeren Reisenden (18–29 Jahre) mindestens einmal KI für die Reiseplanung genutzt haben – oftmals ohne Abgleich mit offiziellen Tourismuswebseiten oder Kartenanbietern (Quelle: eTOUR-Report „Digital Travel Trends“, September 2024).
Wo Realität und Fiktion verschwimmen
Vor allem visuelle KI ist zunehmend im Spiel. Mit Bildgeneratoren wie DALL·E 3 oder Stable Diffusion lassen sich täuschend echte Landschaften erstellen. Wenn diese auf Plattformen wie Instagram oder Pinterest geteilt werden, entstehen regelrechte Hypes – die dann in die Sprachmodelle zurückfließen und so den Zyklus schließen.
Der Begriff „Synthetic Tourism“ wird zunehmend verwendet, um diese Phänomene zu beschreiben. Dabei handelt es sich um vollständig künstlich erzeugte Reiseinhalte, die keinen realen Bezug mehr haben. Interessanterweise finden sich solche Orte später in Hotelbuchungsseiten Dritter, erschaffen durch automatisiertes Screen Scraping und fehlerhafte Datenverarbeitung.
Ein Beispiel ist die Hotelplattform BookItAI, die 2024 mehrere Listings zu einem Hotel auf einer nicht existierenden Insel in der Karibik anzeigte – inklusive KI-generiertem Bildmaterial und Bewertungen.
Wie also lassen sich wahre von halluzinierten Reisezielen unterscheiden?
Drei Tipps für verlässlichere KI-Reiseempfehlungen
- Quellen überprüfen: KI ist kein Faktenlexikon. Nutzer sollten auf Rückverweise zu offiziellen Tourismusbüros, Kartenmaterialien (z. B. OpenStreetMap, Google Maps) oder Reiseblogs mit Fotos und persönlichen Erfahrungen achten.
- Bilderhintergründe analysieren: Oft verraten KI-Bilder Details durch inkonsistente Schatten, verzerrte Strukturen oder unplausible Wetterphänomene. Tools wie Hive Moderation oder Google Lens helfen bei der Verifizierung.
- KI bewusst nach Verweisen fragen: Sprachmodelle wie ChatGPT lassen sich direkt nach Quellen fragen. Formulierungen wie „Bitte nenne drei überprüfbare Links“ helfen, die Ausgabe auf belastbarer Basis zu überprüfen.
Expertinnen und Wissenschaftler fordern Regulierung
Mehrere wissenschaftliche Gruppen und Verbraucherschutzorganisationen warnen angesichts der wachsenden Problematik. Das AI Observatory Austria fordert in einem Papier vom März 2025 eine klare Kennzeichnung generierter Inhalte im Tourismussektor. Die Europäischen Kommission prüft im Zuge des Digital Services Act ergänzende Maßnahmen zu Desinformation durch KI.
„Es braucht technische Labels, API-Standards und eine verbesserte Datenkurationspraxis“, sagt Prof. Elisa Mendez, Ethikforscherin für KI und Gesellschaft an der Universität Freiburg. Sie warnt zudem vor einer Erosion der digitalen Glaubwürdigkeit im Netz.
Was Plattformen und Anbieter nun tun sollten
Plattformen wie TripAdvisor, Booking.com oder Airbnb könnten durch semantische Filter und KI-Detektoren Inhalte besser klassifizieren. Erste Pilotprojekte hierzu laufen bereits in den USA, etwa bei der Plattform AI-TravelGuard, die gehalluzinierte Orte automatisch markiert und vorwarnende Hinweise in Listings integriert.
Entwickler von Chatbots und generativen Modellen sollten ihr Fine-Tuning verbessern, insbesondere bei Orten und Geodaten. Offene Datenbanken etwa von UNESCO, Lonely Planet oder nationalen Tourismusbüros könnten als Referenz eingebunden werden, um die Fehleranfälligkeit signifikant zu reduzieren.
Fazit: Zwischen Faszination und Verantwortung
Künstliche Intelligenz hat enormes Potenzial für die Reiseplanung – doch sie ist kein magischer Kompass. Nutzer brauchen digitale Mündigkeit, Plattformen mehr Verantwortung, und Entwickler stärkere Kontrolle über Datengrundlagen. Wer sich von der nächsten Reise nicht enttäuschen lassen will, sollte vermiedene Orte nicht automatisch als echte Geheimtipps betrachten – gerade, wenn sie zu schön wirken, um wahr zu sein.
Wie siehst du die Rolle von KI bei deiner Reisevorbereitung? Hast du bereits positive oder negative Erfahrungen gemacht? Teile dein Erlebnis mit unserer Community – wir sind gespannt auf deinen virtuellen Trip!




