Quantenforschung gehört zu den disruptivsten technologischen Entwicklungen unserer Zeit. Ihre Auswirkungen reichen weit über die Grundlagenphysik hinaus – sie versprechen revolutionäre Fortschritte in der Medizin, der Klimamodellierung sowie in der IT- und Sicherheitsindustrie. Aber was genau leisten Quantencomputer und Quantentechnologien heute schon – und was ist noch Zukunftsmusik?
Quantenforschung – mehr als nur Supercomputer
Die Grundlage der Quantentechnologie basiert auf den Prinzipien der Quantenmechanik, also etwa der Überlagerung (Superposition) und der Verschränkung (Entanglement). Anders als klassische Computer arbeiten Quantencomputer mit Qubits, die gleichzeitig mehrere Zustände einnehmen können. Daraus resultieren exponentielle Geschwindigkeits- und Effizienzgewinne für bestimmte Berechnungen.
Obwohl vollständig skalierbare, fehlertolerante Quantencomputer noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen, zeigen Unternehmen wie IBM, Google, PsiQuantum oder Quantinuum bereits leistungsfähige Prototypen. Im Oktober 2023 kündigte IBM an, bis 2025 ein 100.000-Qubit-System auf Basis supraleitender Technologie zu entwickeln. Die Quantenforschung entwickelt sich somit rasant zu einem transformativen Werkzeug – insbesondere in datenintensiven Bereichen wie Klima, IT und Medizin.
Klimaforschung: Quanten gegen den Klimawandel
Klimamodelle zählen zu den komplexesten Simulationen überhaupt. Selbst Supercomputer wie der EuroHPC „LUMI“ oder Deutschlands „Juwels-Booster“ stoßen dabei an Grenzen. Quantencomputing verspricht hier neue Präzision – insbesondere bei der quantenchemischen Simulation von Atmosphärenprozessen, Aerosolen und CO2-Aufnahmeprozessen durch Ozeane und Böden.
Das US-amerikanische Lawrence Berkeley National Laboratory arbeitet etwa an der Anwendung von Quantencomputern zur Kalkulation von molekularen Wechselwirkungen, die für Klimamodelle entscheidend sind. 2022 zeigte eine Pilotstudie, dass mithilfe von Quantenalgorithmen berechnete Ergebnisse die Genauigkeit bestehender Klimasimulationen deutlich verbessern könnten (Nature Communications, 2022).
Ein besonders vielversprechender Anwendungsbereich ist die Entwicklung neuer Materialien zur CO2-Abscheidung. Hier können Quantencomputer durch die Simulation quantenmechanischer Wechselwirkungen zwischen CO2-Molekülen und porösen Adsorbentien die Effizienz neuartiger Filtermaterialien drastisch erhöhen – Prozesse, die mit klassischen Methoden Jahrzehnte dauern würden, lassen sich so auf Wochen oder Tage reduzieren.
Statistik: Laut einer Analyse von McKinsey & Company aus dem Jahr 2023 könnten Quantenanwendungen zur CO2-Reduktion bis 2035 potenziell bis zu 7 Gigatonnen CO2 jährlich einsparen helfen.
IT: Fundamentale Umwälzungen in Berechnung und Sicherheit
Im IT-Sektor ist Quantenforschung ein zweischneidiges Schwert – sie verspricht enorme Leistungssteigerungen in der Datenverarbeitung, bringt aber auch existierende Verschlüsselungsstandards ins Wanken.
Quantensicherheit: Viele derzeit genutzte kryptografische Verfahren (wie RSA oder ECC) beruhen auf Rechenproblemen, die für klassische Rechner schwer lösbar sind, für Quantencomputer jedoch trivial. Algorithmen wie Shor’s Algorithmus können große Primfaktorzerlegungen in polynomialer Zeit durchführen. Das gefährdet langfristig praktisch jede sichere Kommunikation weltweit. Die Antwort darauf ist Post-Quanten-Kryptographie (PQC), also kryptografische Verfahren, die auch gegen Quantenangriffe resistent sind.
Das US-amerikanische National Institute of Standards and Technology (NIST) hat 2022 vier PQC-Algorithmen ausgewählt, die künftig als Standard fungieren sollen. Unternehmen sollten sich frühzeitig mit der Migration ihrer Infrastruktur befassen – nicht zuletzt, weil viele Daten heute bereits für „Harvest Now, Decrypt Later“-Angriffe gesammelt werden.
Quantenbeschleuniger in der IT: Neben Sicherheitsfragen wird Quantencomputing zunehmend als Beschleuniger für klassische IT-Prozesse genutzt. Das Unternehmen Quantinuum entwickelte im Jahr 2024 eine hybride Quantenlösung, die Machine-Learning-Prozesse bei Proteinanalysen um bis zu 60 % beschleunigte.
Statistik: Laut einer IDC-Studie von 2024 planen 67 % der Fortune-500-Unternehmen bis 2026 Investitionen in Quanten-IT-Projekte.
Medizin: Beschleunigte Wirkstoffforschung und personalisierte Therapie
Auch in der medizinischen Forschung lassen sich Quantenalgorithmen zunehmend einsetzen – etwa beim Design neuartiger Moleküle, bei der Diagnostik oder in der personalisierten Medizin.
Ein Schlüsselanwendungsfeld ist die Wirkstoffentwicklung. Die Simulation komplexer Protein-Faltungsprozesse – maßgeblich für die Passgenauigkeit von Medikamenten – ist extrem rechenintensiv. Quantencomputer können molekulare Strukturen und Wechselwirkungen präziser modellieren und beschleunigen so das Drug-Discovery-Verfahren.
Das Start-up Qubit Pharmaceuticals aus Frankreich entwickelte 2024 mithilfe quantenchemischer Simulationen einen Wirkstoffkandidaten gegen multiresistente Keime, der sich bereits in der präklinischen Testung befindet. Parallel dazu arbeitet Roche seit 2023 mit D-Wave Systems zusammen, um Quantentechnologien in die Onkologie-Entwicklung zu integrieren.
Auch in der Diagnostik können Quantenverfahren zum Einsatz kommen: Quanten-Sensorik ermöglicht extrem empfindliche Magnetfeldmessungen in neuronalen Strukturen des Gehirns (MEG), die Aufschluss über neurodegenerative Krankheitsverläufe geben. Erste klinische Studien laufen bereits in Großbritannien und Japan.
Praktische Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Forschungseinrichtungen:
- Bewerten Sie frühzeitig den Nutzen von Quantentechnologien für Ihre Branche – etwa durch Tech-Scouting oder Pilotprojekte mit Universitäten.
- Beginnen Sie mit der Ausbildung von Fachpersonal für Quantum Readiness – insbesondere in IT-Sicherheit und Softwareentwicklung.
- Verfolgen Sie Förderprogramme und Kooperationsmöglichkeiten – in Deutschland etwa über das Quantentechnologie-Kompetenznetzwerk (QBN) oder das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Ausblick: Zwischen Hype und realem Impact
Natürlich ist nicht jede Erwartung an Quantentechnologie sofort erfüllbar. Vieles befindet sich noch in der Experimentierphase. Dennoch werden bereits heute hybride Systeme erprobt, die klassische und Quantenprozessoren kombinieren – insbesondere im High-Performance-Computing (HPC). Die deutsche Plattform QSolid etwa testet derzeit supraleitende Quantenprozessoren gemeinsam mit dem Leibniz-Supercomputing Centre.
Die europäische Initiative EuroHPC JU will bis 2027 mindestens zwei Quantencomputer in bestehende HPC-Systeme integrieren. Auch die EU-Forschungsinitiative Quantum Flagship investiert bis 2027 über 1 Milliarde Euro in Forschung und Kommerzialisierung.
Fazit: Der Wandel hat bereits begonnen. Quantenforschung entwickelt sich vom Laborphänomen zur praktischen Schlüsseltechnologie für unsere drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen.
Welche Anwendungen der Quantentechnologie erscheinen euch besonders vielversprechend? Habt ihr bereits Pilotprojekte umgesetzt oder plant ihr den Einstieg ins Quantum Computing? Diskutiert mit der Community und teilt eure Meinung im Kommentarbereich!




