Quantencomputer versprechen nichts Geringeres, als die Welt zu verändern – mit gewaltigen Auswirkungen auf Kryptografie, Materialwissenschaften und künstliche Intelligenz. Doch während Tech-Konzerne und Investoren Milliarden fließen lassen, bleibt die Frage: Revolution oder überhypter Traum?
Quantencomputing – Die Grundlagen einer Zukunftstechnologie
Quantencomputing nutzt die Gesetze der Quantenmechanik, insbesondere die Konzepte von Superposition und Verschränkung, um Informationen zu verarbeiten. Anders als klassische Bits, die nur die Zustände 0 oder 1 annehmen können, arbeiten Quantenbits – Qubits – simultan mit beiden Zuständen. Das ermöglicht die parallele Verarbeitung großer Datenmengen in bislang unvorstellbarer Geschwindigkeit.
Langfristig birgt Quantencomputing das Potenzial, komplexe Probleme zu lösen, die heutige Supercomputer überfordern: von der Simulation chemischer Reaktionen über Optimierungsprobleme in der Logistik bis hin zur Entschlüsselung aktuell sicherer Verschlüsselungsverfahren. Doch die Technologie steht weiterhin vor signifikanten Hürden – sowohl physikalisch als auch wirtschaftlich.
Tech-Giganten und Start-ups: Wer treibt die Entwicklung voran?
Die bekanntesten Akteure im Quantencomputing sind Unternehmen wie IBM, Google, IonQ, Rigetti und D-Wave, aber auch Start-ups und Forschungsinstitute weltweit investieren intensiv in die Quantenforschung. IBM etwa verfolgt eine ambitionierte Roadmap: Im Jahr 2023 stellte das Unternehmen den 433-Qubit-Quantenprozessor „Osprey“ vor und kündigte für 2025 Systeme mit über 4000 Qubits an. Diese sollen durch Quanten-Teleportation zwischen modularen Chips skalieren.
Google hingegen sorgte bereits 2019 mit dem Meilenstein der „Quantenüberlegenheit“ für Schlagzeilen, als der 53-Qubit-Prozessor „Sycamore“ eine Rechenaufgabe in 200 Sekunden löste, für die ein klassischer Supercomputer angeblich 10.000 Jahre benötigt hätte. Skeptiker wie IBM kritisierten jedoch die Vergleichbarkeit. Mittlerweile arbeitet Google am Quantenprozessor „Czary“ mit über 1 Million Qubits – ein „Fehlerkorrigierter Quantenprozessor“, der bis 2029 Realität werden soll.
Laut einer Analyse des Boston Consulting Group (BCG) von 2023 arbeiten über 250 Start-ups weltweit an verschiedenen Ansätzen des Quantencomputings – von supraleitenden Schaltungen über Ionenfallen bis zu photonischer Quantenlogik. Venture-Capital-Finanzierungen in dem Bereich beliefen sich 2022 auf über 2,3 Milliarden US-Dollar (Quelle: McKinsey, „The Quantum Tech Opportunity“, 2023).
Wirtschaftliche Perspektiven: Nische oder Multimilliardendollar-Markt?
Die wirtschaftlichen Erwartungen rund um Quantencomputing sind enorm. Eine Erhebung von McKinsey geht davon aus, dass kommerzielle Anwendungen bis 2035 einen wirtschaftlichen Wert von bis zu 1,3 Billionen US-Dollar generieren könnten – insbesondere in den Branchen Pharma, Luft- und Raumfahrt, Automotive und Cybersecurity.
Dennoch bleibt Skepsis angebracht. Der Aufbau zuverlässiger, fehlertoleranter Quantencomputer bleibt ein ungelöstes Problem. Minimale Interferenzen können Fehler in der Berechnung verursachen, die sich ohne geeignete Fehlerkorrektur exponentiell verstärken. Dies macht heutige Quantenprozessoren selbst mit Hunderten Qubits anfällig und zu „Noisy Intermediate-Scale Quantum“ (NISQ)-Systemen – mit begrenztem praktischen Nutzen.
Hinzu kommt, dass einzelne Hardwareplattformen wie supraleitende Qubits oder photonische Systeme jeweils spezifische Vor- und Nachteile bieten – es gibt keine universelle Architektur, die sich bislang als überlegen etabliert hat. Für Investoren bedeutet das: Ein unübersichtlicher Markt, technologische Unsicherheiten, hoher Kapitalbedarf und unklare Monetarisierungsaussichten.
Die Geschäftsmodelle der Zukunft?
Trotz der technologischen Limitierungen entstehen bereits heute erste Geschäftsmodelle: IBM bietet über seinen Cloud-Service „IBM Quantum“ den Zugriff auf Quanten-Hardware an. Kunden aus der Industrie können spezifische Algorithmen entwickeln und testen, etwa im Portfolio-Management, bei der Simulation molekularer Bindungen oder in der Finanzmodellierung. Laut IBM nutzen bereits über 450.000 registrierte Nutzer und 200 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft weltweit die Plattform.
Ein weiteres Beispiel ist Quantinuum – ein Zusammenschluss von Honeywell Quantum Solutions und Cambridge Quantum. Das Unternehmen fokussiert sich auf kommerzielle Anwendungen in der Kryptografie, etwa durch das Produkt „Quantum Origin“, das quantentechnologisch sichere Schlüssel produziert und bereits 2023 von der NATO getestet wurde.
Auch Start-ups wie Pasqal, Xanadu oder Riverlane bauen auf Cloud-Dienste, Softwaretoolchains und Co-Entwicklung mit Industriekunden. Dabei zeigt sich: Der Zukunftsmarkt entsteht nicht allein durch Hardware, sondern durch ein wachsendes Ökosystem, das Software, Middleware und Training umfasst.
Unternehmen, die heute in Quantencomputing investieren, setzen meist auf langfristige Forschungsvisionen, kombiniert mit vorsichtiger Monetarisierung durch Beratungsleistungen, Pilotprojekte und Partnerschaften.
Praktische Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Investoren:
- Fokus auf hybride Ansätze: Kombinieren Sie klassische High Performance Computing (HPC)-Infrastruktur mit Quanten-Experimenten zur Erforschung realer Use Cases.
- Kooperationen mit Forschungseinrichtungen schließen: Durch universitäre Partnerschaften lassen sich Ressourcen und Know-how effizient bündeln.
- Risiken streuen: Statt auf eine einzelne Technologie zu setzen, empfiehlt sich die Beteiligung an mehreren Plattformen oder Software-Stacks.
Politik und Sicherheit: Der Kryptografie-GAU?
Ein häufig diskutiertes Zukunftsszenario ist der sogenannte „Quanten-GAU“ für die heutige Verschlüsselung: Algorithmen wie RSA oder ECC könnten durch leistungsfähige Quantencomputer – etwa mithilfe von Shors Algorithmus – gebrochen werden. Das National Institute of Standards and Technology (NIST) treibt daher die Standardisierung quantensicherer Kryptografie (Post-Quantum Cryptography, PQC) massiv voran. Im Juli 2022 stellte NIST erste vier Verfahren vor, die als zukünftiger Standard gelten sollen.
Die EU erkennt die Dringlichkeit: Das EU Quantum Flagship investiert rund 1 Milliarde Euro in Quantenforschung bis 2030. Auch China, mittlerweile weltweiter Patente-Leader im Quantum-Bereich, verfolgt ambitionierte militärische und staatlich gesteuerte Forschungsziele – etwa mit dem Startup SpinQ oder dem Quanten-Netzwerkprojekt in Hefei.
Zugleich verlangen neue Rechtsrahmen, etwa NIS2 oder der kommende Data Act, von Unternehmen eine erhebliche Krypto-Resilienz. Hier können Beratungsangebote und Frühinvestments in PQC von strategischem Vorteil sein.
Hype oder Gamechanger? Ein Zwischenfazit
Die Debatte um Quantencomputing oszilliert zwischen visionärer Euphorie und nüchterner Skepsis. Ja, die Fortschritte auf dem Gebiet sind messbar – größere Qubit-Prozessoren, bessere Kohärenzzeiten und erste praxisnahe Demonstrationen. Doch trotz der Milliardeninvestitionen bleibt unklar, wann der „Quantum Advantage“ für realwirtschaftliche Anwendungen wirklich eintritt.
Aus Investorensicht ist Quantencomputing derzeit ein Hochrisikofeld – mit potenziell exorbitantem Return-on-Invest. Für Unternehmen in regulierten Branchen oder mit hoher Innovationsdichte (z. B. Pharma, Finanzen, Sicherheit) kann es sich lohnen, früh Expertise aufzubauen und Quantenprojekte zu starten – selbst wenn der wirtschaftliche Return erst in 5–10 Jahren zu erwarten ist.
Quantencomputing ist keine kurzfristige Revolution, kein Hype in der Frühphase. Es ist vielmehr eine Marathon-Technologie mit disruptivem Potenzial, wenn physikalische, algorithmische und technische Herausforderungen gemeistert werden.
Fazit: Vorsprung sichern – mit Wissen, Partnerschaften und Weitblick
Unternehmen und Investoren, die heute mit Bedacht agieren, können sich entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern. Doch dies erfordert nicht nur Kapital, sondern Bildung, Partnerschaften und strategische Langfristigkeit.
Wie schätzt ihr das Potenzial des Quantencomputings ein? Seid ihr in eurer Organisation bereits aktiv oder bleibt ihr vorsichtig? Diskutiert mit uns in den Kommentaren oder teilt eure Meinung via Social Media.




