Die Geschichte der Technologie ist geprägt von großen Visionen und noch größeren Versprechen. Künstliche Intelligenz (KI) hat ihre eigene Blase erlebt – mit Explosionen von Hype, Investments und Enttäuschungen. Steht Quantencomputing jetzt an einem ähnlichen Wendepunkt? Und können wir aus der KI-Historie lernen, nachhaltige Innovation besser zu fördern?
Zwischen Revolution und Realität: Die Entstehung von Tech-Blasen
Technologische Blasen zeichnen sich typischerweise durch übersteigerte Erwartungen, rasante Kapitalzuflüsse und eine Kluft zwischen Vision und tatsächlicher Umsetzbarkeit aus. Bereits in der Dotcom-Blase der späten 1990er Jahre zeigte sich, wie Euphorie über das transformative Potenzial neuer Technologien zu überzogenen Bewertungen und Enttäuschungen führen kann. Ähnliche Muster traten zuletzt bei der ersten KI-Welle in den 2010er Jahren auf – ein Zyklus aus Überhitzung, Ernüchterung und anschließendem Wiederaufstieg.
Quantencomputing (QC) steht heute an einem vergleichbaren Punkt: Noch sind allgemeine, fehlertolerante Quantencomputer nicht verfügbar – doch die Erwartungen sind immens. Investoren, Unternehmen und Staaten wetten auf eine Technologie, die aktuell nur begrenzt praktischen Nutzen entfaltet.
Indikatoren einer aufkommenden Quanten-Blase
Ein Blick auf die Marktdynamik rund um Quantencomputing zeigt vertraute Muster:
- Stark wachsende Investitionen: Laut dem „State of Quantum 2024“-Bericht von McKinsey (Quelle: https://www.mckinsey.com/industries/semiconductors/our-insights/the-state-of-quantum-2024) wurden allein im Jahr 2023 über 2 Milliarden US-Dollar Risikokapital in Quantenunternehmen investiert – ein Anstieg von 124 % gegenüber 2022.
- Unternehmensgründungen und IPOs: Start-ups wie Rigetti, IonQ oder D-Wave gingen frühzeitig an die Börse, obwohl die Umsätze noch gering sind. Der NASDAQ-Index umfasste 2024 neun reine Quanten-Tech-Firmen mit zweistelligen Kurs-Schwankungen.
- Große öffentliche Versprechen: Tech-Schwergewichte wie IBM, Google oder Microsoft kündigen regelmäßig Meilensteine an – 100+ Qubit-Systeme, Fehlerkorrektur, Quantenclouds – nicht selten mit optimistischen Zeitplänen.
Diese Dynamik weckt Erinnerungen an die Deep-Learning-Welle von 2015 bis 2020, als KI-Anwendungen wie autonome Fahrzeuge oder Chatbots „vor dem Durchbruch“ standen – ein Versprechen, das sich teils bis heute nicht erfüllt hat.
Lektionen aus der KI-Hype-Phase
Die KI-Industrie hat in den letzten zehn Jahren tiefgreifende Erfahrungen mit Hype-Zyklen gesammelt. Nach dem ersten Boom um 2016 (stark getrieben von Fortschritten in Sprach- und Bilderkennung) folgte eine Phase der Ernüchterung – autonome Fahrzeuge erwiesen sich als deutlich komplexer, Chatbots als fragil. Erst mit dem Aufstieg von generativer KI (GPT, Claude, Gemini) ab 2022 gelang wieder ein substanzieller Sprung.
Diese Entwicklung bietet wertvolle Lehren für die Quantenbranche:
- Nutzungsorientierte Forschung: KI-Start-ups, die konkrete Probleme mit realen Daten adressierten (z. B. DeepMind im Energie-Management), konnten sich langfristig etablieren. QC-Unternehmen sollten ebenfalls problemorientierte Use Cases priorisieren – beispielsweise in Materialwissenschaft oder Kryptographie.
- Transparenz über Reifegrade: Die Verwirrung um das „KI“-Label (regelbasierte Systeme vs. Machine Learning) erschwerte die Einschätzung echter Durchbrüche. Ähnliches geschieht heute bei QC: Fehlertoleranz, Verschränkung, physikalischer vs. logischer Qubit – eine realistische, öffentlich verständliche Kommunikation ist essenziell.
- Ökosystem-Entwicklung statt Einzelplayer: Der KI-Boom brachte starke Open-Source-Frameworks (TensorFlow, PyTorch) und Cloud-Plattformen hervor. QC braucht strategische Allianzen zwischen Hardware-, Software- und Cloud-Entwicklung – IBM Qiskit und Microsoft’s Quantum Development Kit sind erste Schritte, müssen aber breiter werden.
Ein Blick zurück zeigt auch: Hypes sind nicht zwangsläufig negativ, solange sie langfristigen Wert generieren. Deep Learning benötigte fast zehn Jahre kontinuierlicher Grundlagenarbeit, bevor es echte Produkte ermöglichte. Genau hier trifft auch die Quantenentwicklung zentrale Entscheidungen.
Vom Potenzial zur Produktreife: Welche Use Cases tragen wirklich?
Quantencomputing ist kein universaler Problemlöser, sondern ein spezielles Werkzeug für gezielte Anwendungen mit exponentieller Komplexität. Laut Boston Consulting Group (BCG) könnten bis 2035 QC-basierte Lösungen zweistellige Milliardenumsätze in Branchen wie Pharma, Logistik oder Finanzen ermöglichen (Quelle: https://www.bcg.com/publications/2023/quantum-computing-seizes-commercial-momentum).
Die vielversprechendsten Quanten-Use-Cases basieren derzeit auf:
- Quantenchemie: Simulation molekularer Wechselwirkungen (z. B. für Medikamentendesign), wo klassische Simulationen scheitern.
- Optimierungsaufgaben: Reiseplanung, Logistik, Finanzportfolios – Algorithmen wie QAOA versprechen Vorteile bei combinatorischen Problemen.
- Quanten-Machine-Learning (QML): Noch in früher Forschung, aber viel beachtet – etwa für die Clusterbildung großer Datensätze oder die Mustererkennung in Rauschdaten.
Die Herausforderung liegt darin, diese theoretischen Vorteile in stabile, nutzbare Workflows zu integrieren – ohne die Fehleranfälligkeit aktueller Hardware aus dem Blick zu verlieren.
Wie man einen gesunden Quantenmarkt aufbaut
Damit Quantencomputing nicht in einer Hype-Blase verpufft, sind konkrete Wege zu einem langfristig tragfähigen Ökosystem erforderlich. Drei Kernbereiche spielen dabei eine Rolle:
- Standardisierung & Benchmarks: Es fehlen internationale Standards zur Messung von QC-Performance (etwa Quantum Volume, CLOPS). Transparente Metriken sind notwendig, um reale Fortschritte von PR-gesteuerten Aussagen zu unterscheiden.
- Ausbildung & Fachkräfte: Laut dem Quantum Readiness Index (Quantum Zeitgeist, 2024) fehlen weltweit aktuell über 25.000 qualifizierte Quantum-Entwickler-Profile. Bildungsinitiativen in Hochschulen und Bootcamps könnten diese Lücke verringern.
- Partnerschaften mit Endanwendern: Frühzeitige Pilotprojekte mit Industriepartnern (z. B. VW mit D-Wave, BASF mit IBM) ermöglichen realistische Evaluierungen und beschleunigen die Übersetzung von Theorie zu Produkt.
Technologie mit langer Reifezeit – wie Geduld zum Wettbewerbsvorteil wird
Ein zentraler Unterschied zwischen KI und Quantencomputing liegt in der technologischen Reife. Während KI-Modelle per GPU skaliert werden können, ist der Aufbau skalierbarer Quantenhardware extrem komplex und physikalisch limitiert. Fehlerkorrektur, thermische Isolation, Raumanforderung – all das macht die Technologie kapitalintensiv und langsam in der Inkubation.
Dennoch zeigt sich: Wer langfristig bleibt, wird belohnt. IBM kündigte 2024 die „Heron“-Qubit-Technologie an, mit über 5-facher Fehlerreduktion gegenüber dem Vorjahr. Microsoft verfolgt mit seinem topologischen Ansatz eine radikal andere, aber potenziell stabilere Architektur – ein Weg, der länger dauern kann, aber am Ende wirtschaftlicher sein könnte.
Die Lehre: Nicht der erste MVP zählt – sondern wer es schafft, ein skalierbares, wartbares System mit echtem Usernutzen aufzubauen.
Handlungsempfehlungen für Investoren, Entwickler und Politik
Um die Potenziale von Quantencomputing realistisch zu nutzen und Blasenbildung zu vermeiden, sollten zentrale Akteure proaktiv handeln:
- Investoren: Fokussiert in Unternehmen mit Roadmaps zu Industrienutzen investieren, anstelle von reinem Hardware-Hype. Langfristiges Kapital bevorzugen.
- Entwickler: Früh mit Use-Case-Partnern kooperieren, Open-Source beitragen (z. B. Qiskit, Cirq) und an öffentlich geförderten Programmen teilnehmen (EU Quantum Flagship).
- Politik: Nationale Strategien (wie „Quantum Germany“ oder Frankreichs Quantentechnologieplan) ausbauen, auf Bildung & Transferzentren setzen, internationale Normen schaffen.
Fazit: Kein Entweder-oder, sondern ein Lerneffekt über Generationen
Die Parallelen zwischen der KI- und der Quantenrevolution sind auffällig. Beide Technologien wurden – und werden – von Hype und Missverständnissen begleitet. Doch während KI bereits wichtige Produkte hervorgebracht hat, steht Quantencomputing vielerorts noch am Anfang.
Gerade deshalb lohnt sich der Blick zurück: Wer aus der KI-Historie lernt, kann Fehltritte vermeiden, realistischen Fortschritt gestalten und ein vertrauenswürdiges Umfeld für exponentielle Technologien schaffen. Der Schlüssel liegt in Geduld, Kooperation und kritischer Transparenz.
Wie sehen Sie das: Ist Quantencomputing der nächste große Durchbruch oder ein weiterer überhitzter Zyklus? Diskutieren Sie mit unserer Tech-Community und teilen Sie Ihre Einschätzungen!




