Nach Jahren rasanter Investitionen in künstliche Intelligenz scheint sich das Klima zu verändern. Während die großen Boomjahre Wachstum und Innovation anfachten, fragen sich viele: Wohin steuert die KI-Finanzierung in den nächsten Jahren – und wie können sich Investoren strategisch darauf einstellen?
Vom Goldrausch zur Konsolidierung – ein Blick zurück
Zwischen 2020 und 2024 erlebte der KI-Sektor ein beispielloses Investitionshoch. Gemäß PwC Germany stieg die weltweite Finanzierung in KI-Start-ups im Jahr 2023 auf rund 72 Milliarden US-Dollar an – 60 % mehr als 2022. Treiber waren Durchbrüche bei generativer KI, allen voran Modelle wie ChatGPT von OpenAI oder Claude von Anthropic.
Doch mit der Abkühlung der globalen Wirtschaft und zunehmender regulatorischer Unsicherheit – beispielsweise durch den AI Act der EU – ist bei vielen Geldgebern Zurückhaltung eingekehrt. Das Funding-Wachstum verlangsamte sich laut CB Insights bereits 2024 deutlich um rund 35 % gegenüber dem Vorjahr. Besonders frühe Finanzierungsrunden (Seed & Series A) wurden selektiver vergeben.
Vier Faktoren, die die künftige Finanzierungsdynamik beeinflussen
In Gesprächen mit Experten aus Venture Capital und Risikoanalyse zeichnen sich vier zentrale Einflussfaktoren auf den Finanzierungsmarkt für KI in den kommenden Jahren ab:
- Regulierungssicherheit: Je klarer internationale Regulierungsrahmen definiert sind, desto nachvollziehbarer können Investoren mit Risiken umgehen.
- Infrastrukturkosten: Die enormen Kosten für GPU-Rechenleistung verlagern den Fokus auf Modelleffizienz und Edge-Lösungen.
- Kommerzielle Reife: Investoren erwarten zunehmend belastbare Go-to-Market-Strategien statt nur technischer Innovation.
- Industrialisierung von KI: Sektorspezifische KI in Healthcare, Recht, Fertigung und Finanzen wird deutlich stärker priorisiert.
Interview mit Experten: Wie geht es weiter?
Für diesen Beitrag sprach unsere Redaktion mit Claudia Meyer, Partnerin bei einem führenden europäischen KI-Fonds, sowie mit Dr. Andreas Lehmann, Senior Risk Analyst der Deutschen Investitionsbank.
Claudia Meyer: „Wir wechseln gerade von breiten KI-Wetten zum gezielten Deep Tech Investing. Besonders spannend wird die Verbindung von KI mit neuen Materialtechnologien, Quantencomputing und Industrieautomatisierung.“
Dr. Andreas Lehmann: „Die Bewertung von KI-Projekten erfordert heute viel strengere Due Diligence. Skalierbarkeit, Datenethik und Sicherheitsmechanik sind inzwischen gleichermaßen relevant wie das Modell selbst.“
Risiken und Strategien: Was Investoren jetzt beachten müssen
Die künftigen Gewinner im KI-Bereich sind laut Branchenkennern nicht zwingend die lautesten Newcomer, sondern diejenigen, die frühzeitig echten Kundennutzen beweisen können. Das verändert auch die Investorenerwartungen:
- Fokus auf langfristige Anwendungsmodelle mit realem ROI (Return on Investment).
- Stärkere Zusammenarbeit mit Industriepartnern und Forschungsinstituten.
- Mehrstufige Finanzierungsrunden mit Meilenstein-basierten Auszahlungen.
Laut einer Studie von PitchBook (Q2/2025) geben 56 % der befragten Investoren an, zuletzt verstärkt auf vertikale Integration – etwa in KI für Medizin oder FinTech – zu setzen. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Einhorn-Finanzierungen (Start-ups mit Bewertung >1 Mrd. USD) im KI-Bereich 2024 erstmals seit sechs Jahren um 22 %.
Auch Corporate Venture Capital spielt eine größere Rolle: So investierte Bosch Ventures 2024 rund 400 Mio. EUR in KI-Start-ups mit Fokus auf industrielle Anwendungen, darunter das Stuttgarter Unternehmen AleaVision, das ein multimodales KI-System zur Fehlerdiagnose in Produktionsstraßen entwickelt hat.
Finanzierungsdynamik als Innovationsmotor
Obwohl das leicht rückläufige Gesamtniveau zunächst skeptisch stimmt, eröffnet die neue Auswahlstrenge auch Potenziale. „Wir sehen eine Konsolidierung, aber auch mehr Qualität“, so Claudia Meyer. Tatsächlich ergibt sich daraus ein verlangsamter, aber robusterer Innovationspfad.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Berliner Start-up QuantelAI. Nach einer intensiven zweijährigen Entwicklungsphase und enger Kooperation mit drei Universitätskliniken erhielt es 2025 eine Series-B-Finanzierung von 38 Mio. EUR – weniger spektakulär als ein Einhorn, aber mit solider klinischer Validierung für ihre KI-basierte Krebsfrüherkennung.
Wo gibt es künftig die größten Chancen?
Drei Bereiche werden laut Analyse von McKinsey (2025) künftig besonders stark von KI profitieren – und bieten aus Investorensicht nach wie vor hohes Potenzial:
- Healthcare: Diagnostik, personalisierte Medizin, Medikamentenentwicklung.
- GreenTech: Optimierung von Energieflüssen, Waste Management durch Computer Vision.
- Finanzen: Automatisiertes Risikomanagement, RegTech, KI-gestütztes Fraud-Detection.
Erfolgreiche Akteure in diesen Segmenten greifen oft auf hybride Finanzierungen zurück – Kombinationen aus VC, Public Grants und Corporate Funding. EU-Förderprogramme wie „Horizon Europe“ und die deutsche „Hightech-Strategie KI 2030“ spielen dabei eine immer größere Rolle.
Drei Tipps für Investoren im Post-Boom-Markt
Um sich in diesem differenzierter gewordenen KI-Markt erfolgreich zu positionieren, empfehlen Finanzexperten folgende Strategien:
- Auf Use Case-Fit achten: Investieren Sie gezielt in Lösungen, die bewiesene Produkt-Markt-Fit in regulierten oder spezialisierten Branchen bieten.
- Technologie verstehen, nicht nur das Narrativ: Lassen Sie sich in Due-Diligence-Prozesse technologische Expertise einarbeiten, um Hype von Substanz zu unterscheiden.
- Langfristig denken – Legacy aufbauen: KI wird langfristig Alltagssysteme mitgestalten. Unterstützung nachhaltiger Geschäftsmodelle zahlt sich oft erst nach mehreren Jahren aus.
Fazit: KI-Finanzierung nach dem Hype – eine Chance zur Reifung
Der Boom der letzten Jahre hat die Grundlagen für ein tiefgreifendes KI-Ökosystem gelegt. Mit der aktuellen Konsolidierung und Professionalisierung entsteht Raum für substanziellen Fortschritt. Für Investoren bedeutet das: weg vom reinen Momentum-Play hin zu strategischem Aufbau von Portfolio-Kompetenz und Resilienz.
Welche Erfahrungen habt ihr selbst mit dem Wandel in der KI-Finanzierung gemacht? Diskutiert mit uns auf unserem Community-Forum oder vernetzt euch auf LinkedIn mit unseren Experten!




