Quantencomputing entwickelt sich rasant von der theoretischen Forschung hin zu praxisnahen Anwendungen. Mit der neu gegründeten Quantum Scaling Alliance setzen führende Technologieunternehmen ein starkes Zeichen: Der nächste Quantensprung in der IT ist nicht mehr Zukunftsmusik, sondern wird aktiv gestaltet.
Ein Quantensprung für die IT: Die Gründung der Quantum Scaling Alliance
Im September 2024 gaben Hewlett Packard Enterprise (HPE), das National Renewable Energy Laboratory (NREL), das US-Energieministerium (DOE) sowie weitere führende Organisationen wie die University of Edinburgh und QSols bekannt, dass sie gemeinsam die Quantum Scaling Alliance (QSA) ins Leben gerufen haben. Das Ziel: die Entwicklung skalierbarer Quantencomputing-Infrastrukturen beschleunigen und deren praktische Nutzbarkeit für reale Anwendungsfälle vorantreiben.
Die Gründung dieser Allianz erfolgt in einem Zeitraum, in dem Quantencomputing zunehmend aus den Laboren in produktive Umgebungen vordringt. Die Allianz setzt auf eine offene Architekturstrategie, um Interoperabilität, Reproduzierbarkeit und die Integration mit klassischen Computersystemen zu gewährleisten. Bereits zum Start der QSA haben sich mehr als ein Dutzend Partner aus dem öffentlichen und privaten Sektor der Initiative angeschlossen.
HPEs Rolle: Vom Supercomputing zum Quantencomputing
Hewlett Packard Enterprise bringt mit seinem Cray Supercomputing-Know-how zentrale Expertise ein. Als Initiator und Gründungsmitglied übernimmt HPE innerhalb der QSA die Entwicklung und Bereitstellung hybrider Architekturen, bei denen klassisches High Performance Computing (HPC) und Quantenverarbeitung eng zusammenarbeiten. Mit der auf dem HPE Cray EX-System basierenden Hardwareplattform wird eine performante Grundlage für skalierbares Quantencomputing geschaffen, die sich in bestehende Rechenzentren integrieren lässt.
„Unser Ziel ist es, frühzeitig Standards und Schnittstellen zu definieren, damit Quantenlösungen nicht isoliert, sondern komplementär innerhalb heutiger IT-Architekturen funktionieren“, erklärte Justin Hotard, EVP und GM von High Performance Computing & AI bei HPE.
Die Mitglieder der Allianz: Interdisziplinär und global
Neben HPE beteiligen sich über ein Dutzend strategischer Partner aus verschiedenen Sektoren an der Quantum Scaling Alliance:
- National Renewable Energy Laboratory (NREL): Bringt Expertise in nachhaltiger Rechenzentrumsinfrastruktur und simulationsgestützter Forschung ein.
- US Department of Energy (DOE): Unterstützt die Allianz im Rahmen seiner Förderung wissenschaftlicher Hochleistungsrechenzentren.
- University of Edinburgh: Arbeitet an softwarebasierten Integrationsschichten für Quantenklassische Hybridsysteme.
- QSols: Sorgt für die Entwicklung quantenmechanisch optimierter Algorithmen für industrielle Optimierungsprobleme.
- Strangeworks, Quantum Circuits, ColdQuanta und andere: Binden verschiedene physikalische Qubit-Technologien in die Plattform ein.
Diese heterogene Zusammensetzung der QSA ist Teil der Strategie, ein breites Feld potenzieller technischer Ansätze zu evaluieren und marktreife Konzepte schneller zu validieren.
Praktische Zielsetzungen: Vom Prototyp zur Anwendung
Die Gründungspartner der Quantum Scaling Alliance fokussieren sich auf eine konkrete Roadmap mit klaren Meilensteinen:
- Identifikation von Praxisszenarien mit echtem Quantencomputing-Mehrwert, etwa in der Energieoptimierung, Materialwissenschaft oder Finanzanalyse.
- Schaffung offener Frameworks für hybride Programmiermodelle, z. B. mittels OpenQASM- und QIR-Kompatibilität.
- Integration quantentauglicher Workloads in klassische HPC-Systeme mittels Middleware und APIs.
- Aufbau sicherer, cloudnativer Infrastruktur für Quantenprozessorzugriffe über hybride Cloud-Plattformen.
Bereits im zweiten Quartal 2025 plant die QSA erste Referenz-Setups, die in simulierten, aber realitätsnahen HPC-Umgebungen deren Funktion demonstrieren sollen.
Warum Quantencomputing jetzt skalieren muss
Der Zeitpunkt für den Zusammenschluss ist nicht zufällig gewählt. Führende Marktforschungsinstitute prognostizieren in den nächsten fünf Jahren einen Wendepunkt beim Einsatz von Quantencomputern.
Laut McKinsey & Company wird die wirtschaftliche Wertschöpfung von Quantencomputing bis 2035 weltweit auf rund 1,3 Billionen USD geschätzt (Quelle: McKinsey, „The Quantum Technology Monitor“, 2023). Die Zahl der Unternehmen, die aktiv mit Quantenlösungen experimentieren, stieg laut Capgemini Research Institute zwischen 2021 und 2024 um mehr als 60 %.
Doch trotz dieser Dynamik bleibt die größte Hürde die Skalierbarkeit und reproduzierbare Nutzbarkeit in realen Infrastrukturen. Genau hier setzt die Quantum Scaling Alliance an.
Kritische Erfolgsfaktoren: Interoperabilität und Standardisierung
Nach wie vor existieren viele inkompatible Ansätze im Quantencomputing-Ökosystem — von supraleitenden Qubits über Ionenfallen bis hin zu Topologischen Qubits. Daraus resultiert eine fragmentierte Pipeline an Tools, Formaten und Schnittstellen.
Die QSA adressiert dieses Problem durch die Förderung herstellerübergreifender Standards. So sollen beispielsweise standardisierte Quantenprogrammformate, interoperable Laufzeitumgebungen und gemeinsame Metriken für Qubit-Qualität und Fehlertoleranz verfügbar gemacht werden. Die enge Kooperation mit Standardisierungsorganisationen wie IEEE und OpenQASM-Entwicklungsteams ist dabei von zentraler Bedeutung.
Ein weiterer Fokus liegt auf der Entwicklung von hybriden Compilerumgebungen, die klassische und Quantenprozesse automatisch miteinander verknüpfen können, ohne dass Entwickler:innen tief in die Quantenphysik einsteigen müssen.
Praxisnahe Anwendungsfelder und Partnerpiloten
Um die industrielle Nutzbarkeit zu demonstrieren, fördert die Allianz bereits erste Use Cases mit branchenspezifischem Fokus. Dazu zählen unter anderem:
- Energie: Optimierung von Stromnetzen durch präzise Lastanalyse und Netztopologie-Simulationen (Projektpartner: NREL, HPE)
- Materialforschung: Modellierung neuer Supraleiter oder Metamaterialien mit quantenchemischer Simulation (Projektpartner: University of Edinburgh, QSols)
- Logistik & Mobilität: Flugroutennetzwerke und Verkehrsflüsse unter dynamischen Bedingungen optimieren (in Pilotierung mit anonymisierten Luftfahrtpartnern)
Die Resultate dieser Projekte sollen 2026 in ersten Proof-of-Concept-Demonstrationen öffentlich vorgestellt werden.
Auswirkungen für Hosting- und Infrastruktur-Dienstleister
Für Unternehmen, die Hosting- und Infrastrukturservices anbieten, eröffnet diese Entwicklung neue Geschäftsmodelle. Hybride Rechenzentren — bei denen klassische Serverfarmen gezielt durch Quantenmodule ergänzt werden — könnten neue Formen der Service-Differenzierung ermöglichen. Entscheidend dafür sind jedoch:
- Modulare Architekturen: Infrastruktur muss flexibel und quantenfähig mit adaptierbaren Netzwerktopologien konzipiert sein.
- Open Source & API-first: Schnittstellen zu Quantenprozessoren sollten über offene, dokumentierte Stacks (etwa Qiskit, PennyLane oder Cirq) ansprechbar sein.
- Security by Design: Quantenkommunikation und Schlüsselaustausch benötigen neue Sicherheitsparadigmen wie Quantenkryptografie und Post-Quantum-Algorithmen.
Schon heute unterstützen Angebote wie „Azure Quantum“ oder „Amazon Braket“ einfache Zugriffsszenarien via Cloud. Die QSA will darüber hinaus jedoch eine nachhaltige, hocheffiziente Hybridinfrastruktur bereitstellen, die sich wirtschaftlich betreiben lässt und eine skalierbare Nutzung erlaubt.
Die nächsten Schritte der Quantum Scaling Alliance
Die QSA verfolgt ihre Entwicklungen in klar abgegrenzten Projektphasen. Für 2025 fokussieren sich die Partner auf die folgenden Meilensteine:
- Q1-Q2/2025: Evaluation von Edge-nahen Quantum-Accelerator-Installationen in Testrechenzentren.
- Q3/2025: Publikation einer gemeinsamen API-Spezifikation für hybride Workload-Orchestrierung.
- Q4/2025: Launch eines offenen SDKs und Betrieb des ersten Beta-Zugangs zu QSA-Hardware für ausgewählte Forschungsteams.
Bis 2027 visiert die Allianz marktreife Produkte und Serviceangebote an — zunächst für den F&E-Sektor, mittelfristig auch für Industrie und Behördenanwendungen.
Fazit: Ein fundamentales Infrastrukturprojekt mit Einblick in die IT-Zukunft
Die Quantum Scaling Alliance schafft wichtige Grundlagen, um Quantencomputing von der Spezialanwendung in das Herz moderner IT-Infrastrukturen zu bringen. Der Erfolg hängt nun maßgeblich davon ab, wie konsequent Interoperabilität, Standardisierung und wirtschaftliche Machbarkeit realisiert werden.
Für IT-Dienstleister, Infrastrukturspezialisten und Entwickler:innen ist es jetzt an der Zeit, sich mit hybriden Technologien und quanteninspirierter Softwarearchitektur zu beschäftigen. Die Grundlagen werden heute geschaffen.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit Quantencomputing oder hybriden Architekturen? Kommentieren Sie gern und diskutieren Sie mit der Community über Chancen, Risiken und Anwendungsfelder!




