Die Lebensmittelbranche steht vor einem fundamentalen Wandel: Autonome Lieferfahrzeuge versprechen eine effizientere und nachhaltigere Zustellung. Der deutsche Einzelhandelsriese Rewe testet aktuell ein solches System – mit weitreichenden Konsequenzen für Handel, Logistik und Verbraucherverhalten.
Rewe testet autonome Lieferungen – ein Meilenstein im deutschen Einzelhandel
Im April 2024 startete die Rewe Group gemeinsam mit dem Berliner Start-up Vay ein Pilotprojekt in Hamburg, bei dem erstmals teleoperierte Elektrofahrzeuge Lebensmittel zu Kund:innen liefern – ein hybrider Zwischenschritt zum vollautonomen Fahren. Das Fahrzeug, gesteuert durch Operatoren aus der Ferne, fährt selbstständig bis vor die Haustür und soll perspektivisch vollständig autonom fahren können. Mit diesem Testprojekt gehört Rewe neben internationalen Vorreitern wie Walmart (USA) oder JD.com (China) zu den ersten großen Einzelhändlern Europas, die derartige Technologie in der Praxis erproben.
Besonders im urbanen Raum mit hohem Liefervolumen und dichten Verkehrsbedingungen könnte der Einsatz solcher Fahrzeuge eine Lösung für bestehende logistische Engpässe darstellen. Der Fokus liegt dabei auf der sogenannten „letzten Meile“, also dem letzten Teilstück der Zustellung vom Verteilzentrum bis zur Haustür der Kund:innen – der kostenintensivsten und emissionsreichsten Komponente der Logistik.
Technologische Grundlagen: Zwischen Teleoperation und Vollautonomie
Aktuell basiert das Rewe-Modell auf der Fernsteuerung durch speziell geschulte Operatoren, was eine höhere Sicherheit und schnelleres Rollout erlaubt. Mittelfristig ist jedoch das Ziel ein vollständig autonomes Fahrzeug, das auf Basis von Lidar-Sensorik, Kamerasystemen, Radar, künstlicher Intelligenz und präziser Kartografie agiert. Diese Technologie wird bereits in verschiedenen autonomen Shuttle-Projekten in Deutschland getestet, etwa im Rahmen der Initiative „HEAT“ in Hamburg oder „RoboShuttle“ in Karlsruhe.
Die große Herausforderung: Autonomie im urbanen Verkehr erfordert ein hochkomplexes Zusammenspiel aus Fahrzeugintelligenz, Verkehrsrecht, Infrastruktur und gesellschaftlicher Akzeptanz. Laut einer Umfrage der Bitkom aus dem Jahr 2023 sehen nur 42 % der Deutschen autonome Fahrzeuge im Alltagsverkehr positiv – ein Wert, der verdeutlicht, dass technologische Machbarkeit noch lange nicht mit gesellschaftlicher Zustimmung gleichzusetzen ist.
Chancen autonomer Lieferfahrzeuge im Lebensmittelhandel
Die Vorteile der autonomen Zustellung liegen auf der Hand:
- Kostenreduktion: Studien des McKinsey Global Institute gehen davon aus, dass autonome Lieferungen die Kosten der letzten Meile um bis zu 40 % senken könnten.
- 24/7-Lieferfähigkeit: Autonome Systeme können rund um die Uhr betrieben werden, unabhängig von Schichtplänen oder Personalmangel.
- Nachhaltigkeit: Elektrisch betriebene Fahrzeuge mit optimierter Routenführung verringern den CO₂-Ausstoß signifikant.
Weiterhin könnten autonome Fahrzeuge auch einen Beitrag zur Lösung des akuten Fahrermangels im Transportgewerbe leisten. In Deutschland fehlten laut einer Prognose des Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung e.V. (BGL) im Jahr 2023 rund 80.000 Lkw-Fahrer – Tendenz steigend.
Herausforderungen und Kritikpunkte
Doch die Technologie ist nicht frei von Hürden. Neben der technischen Komplexität stellt sich auch die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit. Die deutsche Gesetzgebung erlaubt seit Juli 2021 den Betrieb autonomer Fahrzeuge der Stufe 4 im öffentlichen Raum – jedoch nur unter streng regulierten Bedingungen und mit technischer Aufsicht.
Weitere Herausforderungen:
- Sicherheitsrisiken: Fehlfunktionen in dicht besiedelten Stadtgebieten können fatale Folgen haben.
- Datenschutz: Kameras und Sensoren generieren große Mengen personenbezogener Daten, deren Schutz gewährleistet sein muss.
- Infrastrukturabhängigkeit: Autonome Systeme funktionieren nur zuverlässig mit digitalisierten Stadtteilen und präziser Kartierung – nicht alle Regionen in Deutschland sind technisch dafür gerüstet.
Internationale Fallstudien: Erfolgreiche Pilotprojekte weltweit
Rewe ist nicht der erste Einzelhändler mit autonomen Lieferambitionen. Ein Blick über die Grenzen hinaus zeigt, wie unterschiedlich das Thema gehandhabt wird:
- Walmart (USA): Testet in mehreren Bundesstaaten Lieferungen mit autonomen Vans (in Kooperation mit Gatik). Die Fahrzeuge bewegen sich bereits auf festen Routen zwischen Warenlagern und Filialen – vollständig fahrerlos.
- Meituan & JD.com (China): Setzen in Städten wie Peking und Shenzhen kleinere autonome Lieferroboter für Lebensmittelzustellung ein. Die Roboter nutzen Bürgersteige und liefern kontaktlos.
- Ocado (UK): Der britische Onlinehändler forscht intensiv an autonomen Liefersystemen für den urbanen Einsatz. Der Fokus liegt auf Hightech-Zentren mit zentralisierter Micro-Fulfillment-Struktur.
Diese Beispiele zeigen: Technologischer Vorsprung gelingt meist im Zusammenspiel von mutigen Unternehmen, förderlicher Gesetzgebung und intelligenten Investitionen in Infrastruktur.
Laut einer Studie von Statista aus dem Jahr 2024 erwarten 61 % aller befragten Logistikmanager weltweit, dass autonome Lieferfahrzeuge in den nächsten zehn Jahren zum Standard im urbanen Raum werden – ein klarer Trend in Richtung Automatisierung.
Ein weiterer Datenpunkt: Laut einer Analyse von Capgemini (2023) könnten autonome Transportlösungen den CO₂-Ausstoß der Branchenlogistik um bis zu 15 % senken – eine relevante Dimension im Zuge ambitionierter Klimaziele.
Fazit: Autonome Lebensmittelzustellung ist keine Theorie mehr, sondern wird bereits praktisch erprobt – und Rewe nimmt dabei in Deutschland eine Vorreiterrolle ein.
Wie passt das Projekt in den aktuellen Logistiktrend?
Die Digitalisierung der Logistikbranche schreitet rasant voran. Mit Trends wie Echtzeit-Tracking, Robotik in Warenlagern, automatisierter Routenplanung und Künstlicher Intelligenz zur Bedarfsprognose wird deutlich: Autonome Lieferung ist ein logischer nächster Schritt.
Micro-Hubs, urbane Verteilzentren und smarte Lieferboxen ergänzen diese Entwicklung. Der Begriff „dark store“ – also nicht-öffentliche, rein für den Onlinehandel genutzte Filialen – gewinnt an Bedeutung. In Rewes Fall könnte ein Zusammenspiel aus automatisierten Lagern und autonomen Fahrzeugen das Einkaufserlebnis für Kund:innen radikal verändern.
Empfehlungen für Einzelhändler und Entscheider
Welche praktischen Schritte sollten Unternehmen in Betracht ziehen, die sich mit autonomen Lieferungen befassen?
- 1. Pilotprojekte lokal starten: Kleine, georestringierte Testregionen wie bei Rewe helfen, Technologie sicher zu evaluieren.
- 2. Interdisziplinäre Partnerschaften: Kooperationen mit Tech-Start-ups, Städten und Behörden beschleunigen die Entwicklung.
- 3. Kundennutzen im Fokus: Technologie darf kein Selbstzweck sein, sondern muss Mehrwert und Komfort für die Endkund:innen bieten.
Fazit: Die Zukunft fährt vor
Die autonome Lebensmittellieferung steht exemplarisch für den Paradigmenwechsel im Einzelhandel – von manueller Logistik hin zu datengetriebener, ressourcenschonender Versorgung. Rewe wagt als einer der ersten deutschen Händler diesen mutigen Schritt, der in wenigen Jahren zur Normalität werden könnte.
Doch der Weg ist lang: Technologische, regulatorische und gesellschaftliche Herausforderungen müssen weiterhin adressiert werden. Gleichzeitig zeigen internationale Erfahrungen und Studien klar: Der nachhaltige und ökonomische Nutzen spricht für die Weiterentwicklung dieser Technologien.
Wie stehen Sie zum Einsatz autonomer Lieferfahrzeuge? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren und teilen Sie Ihre Meinung zur Zukunft der urbanen Logistik!




