Datenschutz ist komplex – doch was wäre, wenn wir ihn anhand von Geschichten begreifen könnten, die wir seit unserer Kindheit kennen? Ein innovativer Ansatz beleuchtet, wie uns Märchen helfen können, moderne digitale Risiken besser zu verstehen. Besonders die Verbindung von ‚Rotkäppchen‘ mit einer Inferenz-Attacke bietet faszinierende Perspektiven.
Wenn Datenmärchen Wahrheiten erzählen: Warum Geschichten wirken
Erklärungen zu Datenschutz verfangen oft nicht, weil sie technisch, abstrakt oder langweilig wirken. Genau hier setzt ein neuer pädagogischer Ansatz an: Die Verbindung von Datenschutzkonzepten mit narrativen Mitteln. Laut einer Studie der Universität Bielefeld (2022) steigt das Verständnis für Cybersicherheitskonzepte um bis zu 37 %, wenn didaktische Inhalte in Geschichtenform vermittelt werden.¹ Märchen – als kulturell tief verwurzelte Erzählungen – bilden dafür ein hervorragendes Medium: Jeder kennt sie, sie transportieren Werte, Handlungen sind leicht verständlich und emotional anschlussfähig.
Forschende der ETH Zürich und der Open University diskutierten auf der 2023er-Konferenz „Digital Storytelling and Information Security“ über den Nutzen von narrativen Elementen im technisch-didaktischen Kontext.² Besonders hervor stach dabei das Modellprojekt „FairyTales of Data“, in dem deutsche Datenschutzberater klassische Märchen mit digitalen Bedrohungsszenarien verknüpfen – mit erstaunlichem Erfolg.
Rotkäppchen trifft die Inferenz-Attacke: Ein modernes Bedrohungsszenario
Ein besonders einprägsames Beispiel ist „Rotkäppchen und die Inferenz-Attacke“. Dabei steht das Märchen Pate für ein Szenario, bei dem scheinbar harmlose Datenpunkte kombiniert werden, um hochsensible Informationen zu erschließen – eine typische Inferenz-Attacke. In der bekannten Geschichte verrät Rotkäppchen dem ‚Wolf‘ (hier symbolisch für einen Angreifer) Details über ihre Großmutter: wo sie wohnt, was sie mag, dass sie krank ist. Wenngleich isoliert harmlos, ermöglichen diese Infos dem Wolf, gezielte Maßnahmen zu ergreifen – eine perfekte Analogie zur datengetriebenen Profilbildung im digitalen Raum.
Ein reales Beispiel: Laut einer bekannten Untersuchung des MIT (2018) können nur 15 demografische Datenpunkte – etwa Geburtsjahr, Geschlecht, Postleitzahl – mit 99,98 % Genauigkeit Einzelpersonen aus anonymisierten Datensätzen identifizieren.³ Genau darin liegt die Crux moderner Datenschutzrisiken: Inferenz-Angriffe benötigen keine direkten Identitätsdaten. Sie rekonstruieren gezielt.
Wie wir Datenschutz-Narrative in der Praxis einsetzen können
Dieser narrative Ansatz bleibt nicht nur ein pädagogisches Spiel. Inzwischen setzen auch Organisationen verstärkt auf „Storytelling“ zur Schulung von Mitarbeitenden. Die Deutsche Telekom etwa hat 2024 eine Sicherheitskampagne mit digital animierten Märchenfiguren gestartet, bei der Mitarbeiter interaktiv Gefahren erkennen lernen – mit messbarem Effekt: Die Phishing-Erkennungsrate stieg laut Unternehmensangaben um 21 %.⁴
Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat in seinen Schulungsunterlagen für Bildungseinrichtungen 2025 erstmals Teile eines digital-narrativen Moduls aufgenommen, darunter Beispiele wie „Hänsel und Gretel im Datenwald“ oder „Die sieben Zwerge als Passwortmanager“.
Ein weiterer Vorteil: Neben der Vereinfachung ermöglichen Märchen kulturell divers zugängliche Einstiege in hochkomplexe Datenschutzthemen – ein Plus für Organisationen mit multikulturellen Arbeitsstrukturen.
Expertenmeinungen: Didaktik trifft Cybersicherheit
Prof. Dr. Daniela Richter, IT-Pädagogin an der Universität Leipzig, betont: „Narrative Didaktik senkt Einstiegsbarrieren und erzeugt Verstehensbrücken, die reines Faktenlernen nicht schafft.“ Auch der Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Stefan Brink, äußerte sich lobend auf der 2024er Landesdatenschutztagung: „Märchen bilden eine Brücke zwischen Alltag und Datenschutz. Gerade in der Arbeit mit Jugendlichen und Senioren sehe ich hier enormes Potenzial.“
Jedoch mahnen Experten auch zur Vorsicht: Geschichten vereinfachen – und dürfen nicht verharmlosen. Dr. Jonas Wolters, Sicherheitsexperte beim Fraunhofer SIT, betont: „Wichtig ist, dass die Analogie nicht die technische Tiefe ersetzt, sondern ergänzt. Sonst droht eine Scheinsicherheit.“
Drei praktische Tipps für den Einsatz von Märchen im Datenschutztraining
- Kurz, klar und emotional: Wählen Sie Geschichten mit klarem Handlungsmuster (z. B. „Gefahr – Reaktion – Lösung“) und emotional anschlussfähigen Charakteren. Studien zeigen, dass emotional geladene Informationen um 70 % besser erinnert werden.⁵
- Kontextualisierung wichtig: Stellen Sie immer Bezugspunkte zur realen Datenwelt her – etwa: „Was wären die Metadaten in Rotkäppchens Geschichte?“
- Interaktive Formate nutzen: Märchen lassen sich als Quiz, Rollen-Game oder Augmented-Reality-Szenario inszenieren – das steigert die Erfahrungstiefe und den Lerntransfer.
Fazit: Datenschutzkompetenz beginnt mit Verstehen – und Verstehen beginnt mit Geschichten
Komplexe Informationen müssen nicht kompliziert vermittelt werden. Wenn wir Geschichten nutzen, um Prinzipien des Datenschutzes zu erklären, senken wir Schwellenängste, steigern das Verständnis – und schaffen nachhaltigere Lernerfolge. Die Verbindung von narrativer Didaktik und IT-Sicherheitsbildung steht zwar noch am Anfang, doch die ersten Ergebnisse zeigen: Es lohnt sich, bekannte Pfade zu verlassen.
Diskutieren Sie mit: Welche Märchen würden Sie gerne als Datenschutzmodell erzählt bekommen? Schreiben Sie uns Ihre Vorschläge oder Erfahrungen in die Kommentare oder via Social Media!
Quellen:
¹ Universität Bielefeld, Studie „Narrative Didaktik in der IT-Sicherheit“, 2022
² ETH Zürich & Open University, Konferenzbericht „Digital Storytelling and Information Security“, 2023
³ Massachusetts Institute of Technology (MIT), Studie zu deanonymisierten Datensätzen, Science, 2018
⁴ Deutsche Telekom, interne Auswertung Schulungskampagne 2024
⁵ Journal of Educational Psychology, „Emotion and Memory Retention“, 2021




