Künstliche Intelligenz

Musikbranche im Umbruch: KI ersetzt Künstler?

Ein natürlich hell ausgeleuchtetes, warmes Studiofoto einer jungen Musikerin, die mit geschlossenen Augen und sanftem Lächeln entspannt in ein hochwertiges Mikrofon singt, während im Hintergrund verschwommen moderne Musikgeräte und ein Laptop mit Digital Audio Workstation zu erkennen sind – die harmonische Verbindung von menschlicher Kreativität und moderner Technik spürbar in jedem Detail.

Sind wir Zeugen einer kreativen Revolution – oder beginnen Maschinen nun, menschliche Künstler zu verdrängen? Die Musikbranche steht an einem Wendepunkt, an dem künstliche Intelligenz nicht nur arrangiert, sondern komponiert, produziert und performt. Der Fall um King Gizzard & the Lizard Wizard zeigt exemplarisch, wie tiefgreifend der Wandel bereits ist – und wie sehr er Kunst, Urheberrecht und Identität herausfordert.

Künstlerische Avantgarde versus algorithmische Effizienz

Im September 2023 sorgte ein ungewöhnliches Musikalbum weltweit für Aufsehen. Fans der australischen Rockband King Gizzard & the Lizard Wizard stießen auf ein Werk, das vollständig durch eine künstliche Intelligenz erstellt worden war – inklusive Komposition, Text, Gesang, Cover-Art und Marketingansprache. Das irritierende daran: Die Band hatte dieses Album nie herausgebracht.

Tatsächlich handelte es sich um eine digitale Fälschung, erzeugt von Fan-Communities unter Einsatz generativer KI-Modelle wie Riffusion und Jukebox von OpenAI. Das fiktive Album spiegelte den Stil der Band mit beunruhigend hoher Präzision wider – ein Paradebeispiel, wie KI zunehmend in kreative Räume vordringt, die einst als menschlich unantastbar galten.

Technologische Grundlagen: Von Jukebox bis Suno

Im Zentrum dieser Entwicklung stehen sogenannte generative Audio-KI-Systeme. OpenAIs Jukebox, Google Researchs MusicLM, Meta AIs AudioCraft und Start-ups wie Suno.ai oder Udio erlauben es, auf Basis kurzer Textbeschreibungen ganze Songs in verschiedenen Stilen zu erzeugen. Dabei wird nicht nur der musikalische Stil eines Künstlers rekonstruiert, sondern zunehmend auch seine Stimme – etwa mithilfe von Stimmklon-Technologien wie ElevenLabs oder Resemble.ai.

Die jüngsten Fortschritte in der latent-diffusionsbasierten Text-to-Music-Modellierung ermöglichen es, realistische Tracks mit Harmonien, Instrumentierungen und sogar emotionalen Nuancen zu erzeugen. Dabei experimentierten Plattformen wie Suno im Jahr 2024 bereits mit Zwei-Minuten-Kompositionen, die synthetisch generierte Vocals enthalten – mit verblüffender Authentizität.

Umsatz und Umbruch – Der Musikmarkt in Zahlen

Der kommerzielle Einfluss dieser Technologie ist nicht zu unterschätzen. Laut dem IFPI Global Music Report 2024 erwirtschaftete die weltweite Musikindustrie Einnahmen von 28,6 Milliarden US-Dollar – ein Anstieg von 9,8 % gegenüber dem Vorjahr. Dabei nahm Streaming einen Anteil von 67 % ein. KI-generierte Musik schafft hier neue Möglichkeiten – aber auch Unsicherheiten.

Laut einer Erhebung von Music Business Worldwide aus dem Mai 2024 gaben 52 % der Labels an, bereits aktiv mit KI-generierten Elementen zu experimentieren. Gleichzeitig wüchsen rechtliche Risiken: 41 % der befragten Musikschaffenden sahen signifikante Bedrohungen für ihre kreative Integrität, vor allem bei Deepfake-Musik.

King Gizzard & the Lizard Wizard: Zwischen Parodie und Plagiat

Zurück zum Fall King Gizzard: Die Band – bekannt für ihre experimentellen Albumzyklen und identitätsverwischenden Stilwechsel – reagierte auf das KI-Album ambivalent. In einem öffentlichen Statement deuteten sie an, dass sie die technische Leistung respektierten, sich jedoch nicht vereinnahmen lassen wollten. „Wenn man unsere Musik parodiert, ist das eine Sache. Aber wenn man sie imitiert, ohne es kenntlich zu machen – ist das für uns problematisch“.

Der kreative Graubereich zwischen Hommage, Parodie und digitaler Aneignung wird hier offensichtlich. Was bedeutet ein Album noch, wenn es gänzlich ohne menschliches Zutun entsteht, aber wie ein authentisches Werk einer existierenden Band wahrgenommen wird? Vor allem Fans, die den Unterschied nicht erkennen, verbreiten solche Werke viral – mit legitimer Musik oft ununterscheidbar.

Urheberrecht in der KI-Ära: Zu langsam für den Takt?

Juristisch befinden wir uns in einem Vakuum. In vielen Ländern, darunter auch Deutschland, ist das Urheberrecht bisher an die menschliche Schöpfung gebunden (§ 2 UrhG). Werke, die von KI alleine erschaffen wurden, genießen derzeit keinen Schutz – was wiederum das Risiko unautorisierter Kunstfälschung erhöht.

Die EU-KI-Verordnung (AI Act), die 2024 verabschiedet wurde, sieht zwar Transparenzpflichten für generative KI vor, doch deren konkrete Umsetzung im Musikbereich ist weiterhin unklar. Experten wie Prof. Dr. Thomas Dreier (KIT) fordern eine Anpassung des Urheberrechts, etwa über neue Schutzkategorien wie „KI-unterstützte Werke“. Initiativen wie die der Human Artistry Campaign drängen auf internationale Standards.

Aus Sicht der Plattformen ist zudem entscheidend, wie monetarisierte Inhalte identifiziert und lizenziert werden. YouTube testet seit 2025 automatisierte Labeling-Systeme für KI-generierte Musik, doch ohne einheitliche regulatorische Basis bleibt die Rechtslage diffus.

Künstlerische Reaktionen zwischen Faszination und Widerstand

Interessanterweise wandeln viele Künstler den Spieß um. Musikerinnen wie Grimes oder Holly Herndon experimentieren aktiv mit KI und stellen Trainingsdaten ihrer eigenen Stimme zur Verfügung – inklusive Lizenzmodellen für Fans. Grimes z.B. erlaubt per „Elf.Tech“ die Nutzung ihrer Stimme in KI-Songs gegen Umsatzbeteiligung („50/50 Revenue Split“).

Danke dieser Offensivstrategie können Künstler Kontrolle gewinnen und neue partizipative Formate erschließen – fernab tradierter Labelstrukturen. Doch der psychologische und emotionale Wert von „Echtheit“ bleibt eine Herausforderung. Wenn Hörer:innen etwa zukünftig nicht mehr erkennen (oder es ihnen egal ist), ob ein Song menschlich oder maschinell erzeugt wurde – was bedeutet das für Musik als authentische Ausdrucksform?

Die Rolle der Streaming-Plattformen und Labels

Spotify, Apple Music und Co. stehen zunehmend unter Druck, zwischen Original und Fake zu unterscheiden. Spotify entfernte 2023 zehntausende generativer Titel von der Plattform, nachdem Musiker und Labels Beschwerde eingelegt hatten. Dennoch bleibt ein Drahtseilakt: Plattformen wollen Innovation fördern, zugleich aber Rechtssicherheit gewährleisten.

Universal Music hat Anfang 2025 einen groß angelegten Vorstoß unternommen, um Künstlerrechte zu schützen. Gemeinsam mit YouTube wurden neue Tools entwickelt, um Stimmimitate zu erkennen und zu bannen – allerdings bislang nur für Top-Künstler mit dedizierter Rechteverwaltung.

Chancen jenseits der Krise

Bei aller Kritik bietet KI der Musikbranche auch ein enormes Potenzial: Demokratisierung der Produktion, individualisierte Klangexperimente, barrierefreie Komposition für Menschen ohne musikalische Ausbildung. Indie-Künstler können mit Hilfe von Tools wie Boomy oder Soundful binnen Minuten Club-taugliche Tracks erzeugen – oft unterstützt durch persönliche Prompt-Optimierung.

Gleichzeitig entsteht rund um KI-Musik ein völlig neues Kreativ-Ökosystem: Von Prompt-Engineering als neuem Berufsbild über Stimm-API-Dienstleistungen bis hin zu KI-Co-Creation-Modulen in DAWs (Digital Audio Workstations) wie Abelton Live oder FL Studio.

Empfehlungen für Künstler:innen und Musikschaffende

  • Nicht abwarten, sondern integrieren: Kreative sollten KI schon jetzt als Werkzeug testen – sei es für Idee-Skizzen, Beatgenerierung oder vocal modulation. Nur wer früh experimentiert, kann mitgestalten.
  • Rechte klären und schützen: Bei Nutzung von KI-Tools stets Lizenzbedingungen prüfen, eigene Werke mit digitalen Fingerabdrücken kennzeichnen (z. B. mit Watermarking-Plugins) und sich über neue Urheberrechtsoptionen informieren.
  • Fans transparent einbinden: Schafft Plattformen wie Grimes‘ “Elf.Tech”, die Fans kreative Freiheit geben, aber klar lizensieren – im Idealfall mit kommerzieller Teilhabe.

Fazit: Zwischen Synthese und Subversion

Der Fall King Gizzard & the Lizard Wizard markiert nicht das Ende menschlicher Kreativität – sondern den Beginn eines neuen, hybriden Kapitels. Dabei können KI und Kunst zueinander finden, wenn sie im Dialog bleiben. Doch dafür braucht es nicht nur Technikverständnis, sondern auch rechtlichen Weitblick und kulturelle Sensibilität.

Die Debatte ist eröffnet – und sie betrifft uns alle: Musiker, Labels, Plattformen, Zuhörer. Welche Musik wollen wir in Zukunft hören? Und wer soll sie schaffen? Teilen Sie Ihre Meinung mit unserer Community – und lassen Sie uns gemeinsam den Soundtrack der nächsten Dekade gestalten.

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