Deutschland investiert erneut in Höchstleistungen: Mit dem ambitionierten Bauprojekt HLRS III entsteht auf dem Campus Stuttgart-Vaihingen nicht nur ein neues Gebäude, sondern ein Meilenstein der Recheninfrastruktur. Der dort entstehende Supercomputer „Herder“ soll den Weg für datenintensive Forschung und industrielle Simulationen ebnen – schneller, grüner und zukunftsfester denn je.
HLRS III – Ein Bau für die digitale Wissenschaftselite
Das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS), gegründet 1996 als erstes nationales Hochleistungsrechenzentrum Deutschlands, hat sich längst zum zentralen Knotenpunkt für wissenschaftliches und industrielles Supercomputing entwickelt. Mit dem Neubau HLRS III entsteht jetzt auf 19.000 Quadratmetern ein architektonisches wie technologisches Zukunftsprojekt. Der Entwurf stammt aus dem renommierten Büro HammesKrause Architekten, das bereits beim Bau des benachbarten Gebäudes HLRS II beteiligt war. Die Fertigstellung ist für Ende 2026 geplant, die Inbetriebnahme des neuen Hauptsystems für 2027.
Mit einem Investitionsvolumen von 80 Millionen Euro – aufgebracht durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie das Land Baden-Württemberg – ist HLRS III nicht nur Ausdruck politischer Weitsicht, sondern auch Antwort auf die wachsenden Anforderungen datenintensiver Disziplinen wie Klimawissenschaft, KI-Training oder Materialforschung.
Herder – Der nächste Supercomputer einer starken Serie
Im Zentrum des neuen Zentrums steht „Herder“, der designierte Nachfolger des aktuellen HLRS-Flaggschiffs Hawk. Während Hawk mit einer Spitzenleistung von rund 26 Petaflops (Floating Point Operations per Second) auf Basis von AMD Rome CPUs bereits zu den weltweit schnellsten Systemen zählt, wird Herder all dies übertreffen. Geplant ist eine theoretische Spitzenleistung von über 70 Petaflops – das entspricht etwa dem Dreifachen der aktuellen Leistung.
Zum Einsatz kommen voraussichtlich heterogene Architekturen mit einer Kombination aus CPU- und GPU-Recheneinheiten. Während Details zur genauen Hardware noch ausstehen, deuten frühe Entwürfe auf die Verwendung von Nvidia Grace Hopper Superchips oder AMD Instinct MI300X hin – beides massiv parallele Architekturen, die besonders für KI-Workloads und Simulationen bei niedrigem Energieverbrauch optimiert sind.
Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Nachhaltigkeit: Das neue Rechenzentrum wird mit einem innovativen Kühlsystem ausgestattet, das die Abwärme effizient nutzt und in ein lokales Fernwärmenetz einspeist. Ergänzt wird dies durch begrünte Dächer, optimierte Luftzirkulation und eine reversible Wärmepumpe. Nach HLRS-Angaben soll der Primärenergieverbrauch des Standorts dadurch um über 30 Prozent gegenüber dem heutigen Niveau sinken.
Supercomputing als Innovationsmotor für Wirtschaft und Wissenschaft
Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz solcher Investitionen in Infrastrukturen wie HLRS III lässt sich kaum überschätzen. Von Aerodynamik-Simulationen in der Automobilindustrie über Arzneimittelentwicklung bei Biotech-Unternehmen bis zur Erforschung von Extremwettereignissen im Klimamodell – Höchstleistungsrechnen ist zur unverzichtbaren Ressource geworden.
Laut dem European High-Performance Computing Joint Undertaking (EuroHPC JU) lag der Anteil Europas an der weltweiten HPC-Kapazität 2023 bei unter 15 Prozent, während die USA und China zusammen über 70 Prozent vereinen. Deutschland zählt hier zu den führenden Kräften Europas, insbesondere mit den drei nationalen Spitzenzentren HLRS, Jülich (JSC) und Leibniz-Rechenzentrum (LRZ).
Herder soll nicht nur Universitäten und Forschungseinrichtungen dienen: Rund 40 Prozent der Kapazität sind laut HLRS für Industriepartner reserviert, darunter DAX-Konzerne ebenso wie mittelständische Innovationsführer. Das Ziel ist klar: Die international konkurrenzfähige Rechenpower soll helfen, Produktion zu optimieren, neue Werkstoffe zu entdecken und digitale Zwillinge komplexer Systeme zu realisieren.
Technologie der Zukunft – Welche Aufgaben Herder lösen soll
Hochleistungsrechner wie Herder sind künftig unverzichtbar für globale Zukunftsthemen. Beispiele für konkrete Anwendungen:
- Digitale Fabriken: Herder ermöglicht Echtzeit-Simulationen ganzer Produktionsketten zur Effizienzsteigerung in der Industrie 4.0.
- Klimamodelle: Die thermische Auflösung künftiger Klimaszenarien kann mit höherer Genauigkeit gerechnet werden, um extremwetterbedingte Risiken regional besser vorherzusagen.
- Medizinischer Fortschritt: Von der Molekülanalyse bis zur personalisierten Medikamentenentwicklung kann Hochleistungsrechnen neue Therapien beschleunigen.
- KI-Training: KI-Systeme benötigen immense Rechenleistung, um große Sprachmodelle, Bilderkennungssysteme oder autonome Fahralgorithmen zu entwickeln und zu trainieren.
Die europäische Supercomputing-Roadmap setzt dabei ambitionierte Ziele: Bis 2030 sollen mindestens zwei europäische Exascale-Systeme in Betrieb sein – also Rechner der höchsten Liga mit einer Leistung von 1018 Rechenoperationen pro Sekunde. Herder bildet auf dem Weg dorthin einen essenziellen Zwischenschritt.
Forschung trifft Energieeffizienz – Infrastruktur mit Weitblick
Energetisch wurde HLRS III speziell für die Anforderungen der Zukunft konzipiert. Das HLRS arbeitet eng mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) und Industriepartnern daran, sowohl die Klimatisierung als auch die Stromversorgung im laufenden Betrieb auf größtmögliche Effizienz zu trimmen. Dabei geht es auch um einen klugen Materialeinsatz, modulare Erneuerbarkeit und Ressourcenschonung im Gebäudebestand.
Eine aktuelle Studie des Forschungszentrums Jülich ergab, dass bis zu 35 Prozent der jährlichen Energiekosten eines Supercomputerzentrums auf Kühlung entfallen (Quelle: FZ Jülich, 2023). Davon profitieren auch andere Sektoren – etwa Start-ups, die sich in neuen Rechenzentren ansiedeln und Zugang zu Wärme- oder Clouddiensten teilen.
Darüber hinaus kann durch die flexible Raumstruktur in HLRS III mittel- bis langfristig auf andere Rechenanforderungen geschwenkt werden – etwa Quantencomputing oder Speicher-getriebene Workloads in der Materialsequenzierung.
Deutschland im globalen Wettbewerb – Chancen und Risiken
Im internationalen Kontext bleibt Deutschland trotz führender Initiativen inhaltlich wie finanziell unter Druck. China betreibt laut Top500.org drei der zehn weltweit schnellsten Supercomputer, die USA vier. Europa hingegen hat nach wie vor Nachholbedarf – auch was die Beteiligung europäischer Hardwarehersteller betrifft.
Ohne leistungsfähige Infrastruktur droht eine wissenschaftliche Erosion: Laut einem Bericht der OECD (2024) korreliert der Zugang zu national geförderten HPC-Ressourcen signifikant mit der wissenschaftlichen Publikationsleistung und Innovationsfähigkeit. Fehlende Kapazität kann also zur Abwanderung komplexer Forschungsvorhaben in leistungsstärkere Länder führen.
Gleichzeitig braucht der Standort Deutschland mehr Open-Access-Strategien, um kleinen Forschungsgruppen, Start-ups und innovativen KMUs den Zugang zu Supercomputing zu erleichtern – insbesondere außerhalb klassischer Förderlogiken.
Drei Handlungsempfehlungen für Forschungseinrichtungen und Unternehmen
- Frühzeitig Projekte einreichen: Die Vergabezeiten für Rechenkapazitäten beim HLRS sind lang. Wer frühzeitig Langfristprojekte anmeldet, sichert sich Zugang zu Herder ab 2027.
- Kooperationen mit Forschungseinrichtungen aufbauen: Gemeinsame HPC-Nutzung kann Ressourcen bündeln, interdisziplinäre Synergien schaffen und Kosten senken.
- Energieeffizienz integrieren: Unternehmen, die künftig eigene Rechenkapazitäten anbinden, sollten sich an HLRS III orientieren: Rückwärmenutzung, modulare Kühlung und smarte Bauweise bieten wirtschaftliches wie ökologisches Potenzial.
Fazit: Rechenleistung als Standortstrategie
Der Neubau HLRS III und der Supercomputer Herder zeigen beispielhaft, wie technologische Infrastruktur strategische Innovationsfähigkeit fördert. Deutschland setzt damit ein klares Signal für digitale Souveränität, nachhaltige Forschung und industrielle Wettbewerbsfähigkeit. Nicht zuletzt ist Herder auch ein Vorzeigeprojekt für die Verbindung von Zukunftsfähigkeit, Wissenschaftsförderung und grüner Technologie.
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