Deutschland behauptet sich im globalen Wettrennen um Quantentechnologie-Patente auf Platz fünf – eine Platzierung, die aufhorchen lässt. Denn der wirtschaftliche und geopolitische Wert quantentechnologischer Anwendungen steigt rapide. Wie gut ist Deutschland tatsächlich aufgestellt und was bedeutet das für Forschung, Industrie und nationale Souveränität?
Ein Blick auf das globale Patentfeld
Die Quantentechnologie zählt zu den disruptivsten Technologien des 21. Jahrhunderts, mit Anwendungen von supersicherer Kommunikation über Quantensensorik bis hin zu revolutionären Computerarchitekturen. Wer auf dem Gebiet die Nase vorn hat, formt nicht nur die globale Tech-Zukunft, sondern sichert sich auch einen erheblichen wirtschaftlichen und strategischen Vorsprung.
Der jüngste Bericht der European Patent Office (EPO) und der European Space Policy Institute (ESPI) zur quantentechnologischen Patentlage (Juli 2024) zeigt: Zwischen 2011 und 2021 verzeichnete die Zahl der weltweiten Patentanmeldungen im Bereich Quanteninformatik ein Wachstum von über 400 %. Angeführt wird das Patent-Ranking von den USA, gefolgt von China, Japan und Südkorea – aber auf Platz fünf steht: Deutschland. Mit einem Anteil von knapp 5,2 % an allen internationalen Patentanmeldungen im Bereich Quantentechnologie positioniert sich die Bundesrepublik damit vor Tech-Nationen wie Kanada, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich. (Quelle: EPO/ESPI 2024 Patent Landscaping Report – Quantum Technologies)
Diese Position ist kein Selbstläufer, sondern Resultat strategischer Initiativen wie dem „Quantum Technology Flagship“ der EU und der nationalen „Quantentechnologie-Initiative“ des Bundes, die mit rund 3 Milliarden Euro bis 2031 ausgestattet ist.
Patentstärke als Machtfaktor
Patente sind mehr als nur ein juristisches Schutzinstrument – sie markieren technologische Führungsansprüche. Wer Patente in kritischen Schlüsseltechnologien hält, schafft marktbeherrschende Positionen, setzt Standards und kontrolliert zentrale Komponenten der digitalen Infrastruktur von morgen.
Professor Dr. Kristel Michielsen, Leiterin der Forschungsgruppe Quanteninformationsverarbeitung am Jülich Supercomputing Centre, erklärt: „Patente im Bereich Quantencomputing sichern nicht nur Wettbewerbsvorteile, sondern beeinflussen auch, wer in Zukunft über funktionierende Lösungen in Bereichen wie Logistikoptimierung, Materialdesign oder Medikamentenentwicklung verfügt.”
Von geopolitischer Bedeutung ist die Patentführerschaft insbesondere im Hinblick auf Quantensicherheit. Quantenverschlüsselung bietet theoretisch abhörsichere Kanäle – sie könnte klassische Kryptographie in Bereichen wie Nachrichtendienste, Infrastruktur oder Militärstrategie ablösen. Hier entscheiden frühe Schutzrechte über die technologische Unabhängigkeit.
Volkswirtschaftliche Ausstrahlung – Chancen und Risiken
Die wirtschaftliche Hebelwirkung liegt auf der Hand. Schätzungen von McKinsey zufolge (Branchenreport Juni 2024) könnte der globale Quantencomputing-Markt bis 2035 ein Volumen von über 1,3 Billionen US-Dollar erreichen. Deutschland, als patentstarkes Land in diesem Segment, könnte daraus überproportional profitieren – insbesondere in der Zuliefer- und Systemintegration für Schlüsselbranchen wie Automotive, Maschinenbau und Pharma.
Dem gegenüber stehen jedoch Risiken: Kommerzialisierungslücken, mangelnde Skalierungsmodelle und eine globale Dominanz weniger Großakteure (IBM, Baidu, Google Quantum AI) könnten Deutschland trotz Patentstärke ins Abseits stellen, wenn es nicht gelingt, eigene Anwendungen in marktfähige Produkte zu überführen.
Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) warnt in einer Stellungnahme vom Mai 2024 vor „Technologieveredelung außerhalb Deutschlands“: Oftmals würden grundlegende Patente in Deutschland erteilt, jedoch erst von US-amerikanischen oder asiatischen Unternehmen erfolgreich kommerzialisiert.
Stimmen aus Forschung und Wirtschaft
Dr. Heide Hecht, CTO der Münchner Firma QBN Systems, hebt die industrielle Relevanz hervor: „Gerade im Bereich Quantensensorik entstehen neue Wertschöpfungspotenziale für die Fertigungstechnik und autonome Fahrzeuge. Made in Germany kann hier enorm profitieren – wenn Transferstrukturen funktionieren.“
QBN Systems arbeitet mit dem Fraunhofer-Institut und der Universität Heidelberg an Quantenmembranen für extrem sensitive Materialanalysen. Auch global tätige Konzerne wie Bosch oder Siemens investieren laut eigenen Angaben gezielt in Quantentechnologie-IP, um künftige Produkte resilient und wettbewerbsfähig zu gestalten.
Auch von öffentlicher Seite wird nachgesteuert: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) startete 2025 eine „Quantenpatent-Accelerator“-Initiative, um den Technologietransfer aus Grundlagenforschung in marktfähige Anwendungen zu beschleunigen.
Technologische Felder mit deutschem Vorsprung
In welchen Bereichen glänzt Deutschland besonders?
- Quantensensorik: Anwendungen in Medizintechnik, autonomem Fahren und geophysikalischer Rekonstruktion – hier ist Deutschland europäischer Innovationsführer.
- Quantenkommunikation: Das QuNET-Projekt testet mit Partnern wie der Bundesnetzagentur erste implementierbare Quantennetzwerke für kritische Infrastruktur.
- Kryotechnologie und Lasertechnik: Als Zulieferer retrospektiv etablierter Industrien (z.B. Trumpf, Zeiss) pflegt Deutschland essentielle Schlüsselkompetenzen für die Hardwareseite.
Aktuelle Erhebungen des Deutschen Akademieprojekts „Quantenchemie-Innovationen“ zeigen, dass über 60 % der deutschen Quantenpatente auf Anwendungsfelder jenseits reiner Informatik zielen – also Sensoren, Kommunikation und Fertigungsverfahren. (Quelle: DFG, Projektbericht 2024)
Strategien für nachhaltige Technologieführerschaft
Was muss nun passieren, damit Deutschlands fünfter Platz kein strukturloser Erfolg bleibt, sondern Hebelwirkung entfaltet?
- Startups stärken: Frühphasenfinanzierung für quantentechnologische Gründungen ausbauen, etwa über ein Quantenfonds analog zum HTGF.
- Industriekooperationen vertiefen: Cluster wie das Quantum Valley Lower Saxony und das Munich Quantum Valley weiter als Brücken zwischen Forschung und Industrie entwickeln.
- Standardisierung aktiv mitgestalten: Deutschland muss bei internationalen Normierungsprozessen – etwa zur Quantenverschlüsselung oder technischen Schnittstellen – technologisches Know-how einbringen und IP-Positionen aktiv nutzen.
Fazit: Patente als Kompass einer Zukunftstechnologie
Deutschlands Position unter den Top 5 der Quantentechnologie-Patentinhaber ist ein Meilenstein – aber kein Ruhepolster. Sie zeigt, dass Innovation auch von unabhängig forschenden Akteuren, klugen regulatorischen Rahmenbedingungen und starker Industriemittelschicht getragen werden kann. Der nächste Schritt ist der Transfer dieser Innovationskraft in international anschlussfähige Geschäftsmodelle.
Werden Investitionen gezielt fortgeführt, Transferlücken geschlossen und Infrastrukturen weiterentwickelt, könnte Deutschland nicht nur Quantenpatente halten – sondern Quantenmärkte gestalten.
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