Namibia rückt zunehmend ins internationale Rampenlicht – nicht wegen Diamanten oder Tourismuserlebnissen, sondern aufgrund einer Ressource, die in der Zukunft der globalen Energiewirtschaft eine Schlüsselrolle einnehmen wird: grüner Wasserstoff. Das südwestafrikanische Land hat das Potenzial, sich als Vorreiter für eine nachhaltige Energiezukunft zu positionieren – doch der Weg dahin ist komplex.
Namibias geografische und klimatische Trümpfe
Mit rund 3.500 Sonnenstunden im Jahr und konstanten Windgeschwindigkeiten an der Atlantikküste zählt Namibia laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ, 2022) zu den weltweit besten Standorten für die Produktion von grünem Wasserstoff. Diese optimale Kombination aus Solar- und Windenergie macht es nicht nur möglich, Strom im Überfluss zu erzeugen, sondern ihn direkt in CO₂-neutralen Wasserstoff umzuwandeln.
Grüner Wasserstoff entsteht durch die Elektrolyse von Wasser mithilfe erneuerbarer Energiequellen – im Gegensatz zu grauem oder blauem Wasserstoff wird dabei kein CO₂ freigesetzt. Namibia hat Zugang zu ausreichend Meerwasser, das durch Entsalzungsanlagen aufbereitet werden kann, sowie an abgelegenen, preiswerten Flächen, die für Großanlagen notwendig sind. Dies sind ideale Voraussetzungen für eine wettbewerbsfähige Produktion.
Hyphen: Ein Pilotprojekt mit Signalwirkung
Der Schlüsselakteur im nationalen Wasserstoffplan ist Hyphen Hydrogen Energy, ein Joint Venture zwischen dem deutschen Unternehmen Enertrag und dem Infrastruktur-Investor Nicholas Holdings. Das mit einem Investitionsvolumen von über 9 Milliarden US-Dollar geplante Projekt soll bis 2030 im Tsau Khaeb Nationalpark entstehen. Geplant sind Elektrolysekapazitäten von 3 GW in der ersten Phase mit dem Ziel, jährlich über 300.000 Tonnen grünen Wasserstoff zu produzieren.
Laut dem namibischen Präsidenten Nangolo Mbumba kann dieses Projekt rund 15.000 direkte Arbeitsplätze in der Bauphase und 3.000 langfristige Arbeitsplätze schaffen. Zudem soll Hyphen pro Jahr etwa 500 Millionen US-Dollar an Einnahmen in Form von Steuern, Lizenzgebühren und Dividenden generieren – ein wirtschaftlicher Hebel für das rohstoffreiche, aber bislang energieimportabhängige Land.
Der globale Kontext: Ringen um Industrialisierung und Klima
Industrieländer suchen zunehmend nach verlässlichen Partnern für die klimaneutrale Energieversorgung der Zukunft. Die EU hat eine Wasserstoffstrategie mit dem Ziel, bis 2030 bis zu 10 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff zu produzieren und ebenso viel zu importieren. Laut EU-Kommission könnten bis zu 40 GW Elektrolysekapazität auf dem afrikanischen Kontinent installiert werden – Namibia gilt dabei als bevorzugter Standort.
Gleichzeitig ist der Wettlauf um Investitionen in grüne Technologien in vollem Gange: Laut BloombergNEF (2023) wurden weltweit über 530 Milliarden US-Dollar in die grüne Energiewende investiert – ein Rekordwert. Wasserstofftechnologie spielt darin eine wachsende Rolle, wobei Afrika mit rund 5 % Anteil am Investitionsvolumen noch immer stark unterrepräsentiert ist. Namibia will dies ändern.
Herausforderungen: Wasserknappheit, Infrastruktur, Finanzierung
So vielversprechend das Potenzial – die Herausforderungen sind beträchtlich:
- Wasserzugang: Der kostspielige Bau von Entsalzungsanlagen ist Voraussetzung für die großflächige Elektrolyse in einem der trockensten Länder der Erde.
- Infrastrukturdefizite: Namibia verfügt über keine nennenswerte industrielle Wasserstoffnutzung, keine Pipelines und nur eingeschränkte Energie- oder Hafenlogistik. Der Transport muss primär per Schiff erfolgen – noch fehlt aber ein spezieller Exporthafen.
- Finanzierung und Abnehmer: Grüner Wasserstoff ist derzeit etwa doppelt so teuer wie grauer Wasserstoff. Laut einer Analyse von IRENA (2024) könnte bis 2030 Parität erreicht werden – Voraussetzung sind jedoch erhebliche Investitionen und langfristige Lieferverträge mit Abnehmerstaaten.
Ökologische Chancen und Fallstricke
Der Schritt in die großskalige Produktion von grünem Wasserstoff bringt auch ökologische Risiken mit sich. Die Installation von Solar- und Windparks in empfindlichen Ökosystemen, intensiver Wasserverbrauch und die Emissionen indirekter Treibhausgase durch Bau und Materialproduktion müssen sorgfältig bewertet werden.
Die namibische Regierung hat bereits Kriterien für eine Umweltverträglichkeitsprüfung definiert und erarbeitet aktuell, unterstützt durch die H2Atlas-Africa-Initiative des Forschungszentrums Jülich, ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept. Transparenz, Good Governance und die Einbindung lokaler Gemeinschaften sind entscheidend für eine ökologisch und sozial vertretbare Transformation.
Langfristige Perspektiven: Lokale Wertschöpfung und Innovation
Namibia will nicht bloß Energiezulieferer sein. Die Regierung plant, mithilfe von Wasserstoff eine eigene grüne Industrie aufzubauen – einschließlich der Produktion von Ammoniak für Düngemittel, synthetischen Kraftstoffen und grünem Stahl. Eine Studie der University of Cape Town (2024) beziffert das Potenzial für lokale Wertschöpfung auf bis zu 6 % des BIP.
Darüber hinaus entstehen erste Kooperationen mit europäischen und asiatischen Hochschulen – Ziele sind ein lokales Wasserstoff-Fachkräftezentrum sowie Testzentren für neue elektrolytische Verfahren. Der Strompreis in Namibia liegt momentan unter 3 US-Cent pro Kilowattstunde – ein Standortvorteil für neue Industrien.
EU-Afrika-Energiepartnerschaft: Ein multilaterales Unterfangen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte im Rahmen des EU-Afrika-Gipfels 2022 die Bedeutung globaler Energieallianzen. Projekte wie das Global Gateway investieren gezielt in grüne Infrastruktur. Namibia wurde 2023 als eines von fünf afrikanischen Partnerländern im Green Hydrogen Strategic Partnership Program der EU aufgenommen.
Neben staatlichen Akteuren zeigen auch Unternehmen wie RWE, Siemens Energy und TotalEnergies Interesse an Joint Ventures oder langfristigen Abnahmegarantien. Der Aufbau eines internationalen Green-Hydrogen-Zertifizierungssystems ist in Arbeit, um Importkompatibilität zu gewährleisten.
Konkrete Empfehlungen für Entscheidungsträger
- Langfristige Lieferverträge abschließen: Um Investitionsrisiken zu minimieren, sind verbindliche Abnahmegarantien mit europäischen und asiatischen Abnehmern zentral.
- Lokale Industriepolitik fördern: Die Entwicklung einer lokalen Wertschöpfungskette – einschließlich Forschung, Ausbildung und Mittelstandsförderung – ist entscheidend für nachhaltigen Wohlstand.
- Transparente Umweltstandards etablieren: Frühzeitige Umweltverträglichkeitsprüfungen und partizipative Planungsprozesse sichern die ökologische Tragfähigkeit.
Fazit: Zwischen Vision und Realpolitik
Namibia hat das Potenzial, zu einem der weltweit führenden Produzenten grünen Wasserstoffs aufzusteigen – dank idealer klimatischer Bedingungen, politischem Willen und wachsendem internationalem Interesse. Doch Potenziale allein genügen nicht: Infrastrukturen, Investments und institutionelle Rahmenbedingungen müssen ebenso mitwachsen wie das Vertrauen der Bevölkerung in die langfristigen Vorteile des grünen Wandels.
Wenn Namibia es schafft, Nachhaltigkeit, wirtschaftlichen Nutzen und soziale Teilhabe zu vereinen, könnte das Land zum Vorbild für eine ganze Generation von Entwicklungsländern werden – und einen entscheidenden Beitrag zur globalen Dekarbonisierung leisten.
Diskutieren Sie mit: Welche Rolle sollte Europa beim Aufbau globaler Wasserstoffpartnerschaften übernehmen? Und wie lässt sich sicherstellen, dass auch Produktionsländer wie Namibia langfristig profitieren?



